„Schule sollte sich so früh wie möglich verändern, weil sie prägend ist für viele Menschen in ihren Lern- und Lebensbiografien“
Viele sind sich einig, dass sich Schulen verändern müssen. Aber wie? Mit dieser Thematik beschäftigt sich Kati Ahl in ihrem Buch „Schule verändern – jetzt!“. Wir haben sie gefragt, wie eine Schule der Zukunft aussehen könnte und welche Aspekte dabei beachtet werden müssen, um den Wandel zu gestalten.
„Wie Unterricht sich verändern muss, wissen wir im Grunde seit der Reformpädagogik“
Wie sieht die Schule der Zukunft aus? Und was machen eine gute Schule und guter Unterricht für dich aus?
Kati Ahl: Die Schule der Zukunft sieht schon optisch ganz anders aus! Sie hat hoffentlich ganz andere Räume, denn Räumlichkeiten haben einen starken Einfluss darauf, wie wir zusammenkommen. Das merkt man, wenn man mal eine ganz neu gebaute Schule besucht. Ich stelle sie mir – bildlich gesprochen – als einen Ort mit offenen Fenstern und Türen und einem ansprechenden Außengelände vor. So können Impulse aus der Lebenswelt, aber auch Menschen von außen und neue Ideen viel einfacher in die Schule gelangen.
Wie Unterricht sich verändern muss, wissen wir im Grunde seit der Reformpädagogik: aktivierend, mit innerer Beteiligung und Bezug zur Lebenswelt, möglichst ohne Kinder zu unterfordern, also positiv herausfordernd. Spannend wird die Frage, wie uns das jetzt im Zuge der Digitalisierung gelingt und wie wir dabei neue Möglichkeiten entdecken.
Du hast ein Buch geschrieben, das heißt “Schule verändern – jetzt!”. Warum muss sich Schule am besten so früh wie möglich verändern ?
Eine Krise ist immer – neben der Katastrophe – auch eine große Chance, etwas zu verändern. Und die letzten Monate waren für die meisten Schulen eine große Krise und Belastungssituation. Demnach steckt auch gerade jetzt Potential in der Frage, was wir mitnehmen können: neue Freiheiten, neue Formate, Denkansätze, hybride Angebote? Was lief in der Zeit der Krise gut? Welche Kinder haben vielleicht sogar profitiert und konnten überraschend gut lernen? Auf wen müssen wir besonders achten? Wo entstanden neue Kooperationen?
Und dann haben ja viele Forscher*innen nochmal die Wichtigkeit der Schule als Sozialraum wieder entdeckt, wie sehr also Kinder und Jugendliche die Beziehungen untereinander und im schulischen Raum brauchen! Das sollten wir jetzt besonders berücksichtigen und nicht durch reine Stoff-Aufholprogramme wieder in das Denken vom Nürnberger Trichter zurückverfallen. Viele Kinder hatten eine harte Zeit, wie Juco- und Copsy-Studien zeigen und brauchen jetzt echtes Interesse, Zuhören. Zeit für ihre Entwicklung, nicht Druck. Schule sollte sich so früh wie möglich verändern, weil sie prägend ist für viele Menschen in ihren Lern- und Lebensbiografien, Chancen eröffnet, aber leider auch manchmal verbaut.
Kati Ahl ist Autorin des Buches „Schule verändern – jetzt!„. Ihr Herz schlägt für Veränderung an Schulen, neue Wege und Lernen mit Leichtigkeit. Kati Ahl ist systemische Beraterin und bietet pädagogisches Coaching an. Sie arbeitet als Schulentwicklungsberaterin und ist daneben Design-thinking-Moderatorin. Kati Ahl war Schulleiterin bis 2020 und ist dreifache Mutter. Ihre erste Publikation baut Brücken zwischen den unterschiedlichen Perspektiven „Elterngespräche konstruktiv führen“ (V&R Verlag). Ihr aktuelles Thema „Frauen und Digitalität“ erscheint 2022 bei Klett Kallmeyer.
„Ich wünsche Lehrkräften auch mehr Zeit, Unterricht und Schule gemeinsam zu entwickeln, zu hospitieren und voneinander zu lernen.“
Welche Aspekte sollten bei einer veränderten Schule im Vordergrund stehen?
Am wichtigsten ist es, die Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, also: Was bewegt die jungen Menschen, was genau brauchen sie wirklich, wie können wir sie in der Sache, im Lernen, aber auch in der Persönlichkeitsentwicklung unterstützen? Die überfachlichen Kompetenzen in den Curricula bieten ja den Rahmen dafür!
Damit es den Kindern und Jugendlichen in der Schule gut geht, muss es auf der anderen Seite auch den Pädagog*innen gut gehen. Wenn die sehr stark unter Druck sind, können sie weniger gut gelassen reagieren, kreativ sein, neue Formate entwickeln, auf die vielen unterschiedlichen Bedürfnisse eingehen. Das ist vergleichbar mit einer Mutter/einem Vater von jungen Kindern: Wenn die erschöpft sind, haben sie weniger Kraft für ihr Kind und reagieren leichter gereizt. So müssen wir also viel stärker auch Lehrkräften Beteiligung ermöglichen und Mental-Health-Themen berücksichtigen.
Ich wünsche Lehrkräften auch mehr Zeit, Unterricht und Schule gemeinsam zu entwickeln, zu hospitieren und voneinander zu lernen. Das würde ich andersherum aber auch wieder gerne – bei verbesserten Zeitressourcen – als verpflichtend im Lehrberuf ansehen, dass wir ebenfalls lebenslang und voneinander lernen, uns weiter entwickeln und hierin Vorbilder sind.
Wie startet man so einen Entwicklungs- und Veränderungsprozess an Schulen? Oder müsste man das gesamte deutsche Bildungssystem angehen?
Veränderung kann man von oben verordnen, anbieten oder direkt vor Ort beginnen. Besonders überzeugend und erfolgversprechend sind für mich Beispiele, in denen sich ganze Schulgemeinden gemeinsam auf den Weg machen, möglichst alle mitnehmen, Schüler* innen, Eltern, das Kollegium, die Schulleitung, den Ganztag mitnehmen. Denn jede Schule ist ein eigener Mikrokosmos und die Menschen vor Ort wissen häufig am besten, wo es brennt und was jetzt gebraucht wird. Von vorgesetzten Behörden sind dafür Freiräume hilfreich, um Neues zu erproben.
So gibt es in Hessen zum Beispiel jetzt die Möglichkeit, mit einem eigenen Konzept pädagogisch selbstständige Schulen zu werden und damit neue Wege zu beschreiten, eventuell ohne Ziffernnoten zu arbeiten und das mit der Unterstützung der vorgesetzten Behörden. Oder ein Beispiel aus Niedersachsen ist die Initiative Bildung 2040 des niedersächsischen Kultusministeriums von 2018 als offener Aufruf an alle Interessierten, gemeinsam neue Wege zu finden. Dabei sind natürlich kleine Systeme viel agiler und schneller veränderbar als das große gesamte Bildungssystem, vergleichbar einem Schnellboot und einem riesigen Tanker bei einer Wendung.
Was können einzelne Lehrkräfte im Rahmen ihrer Möglichkeiten heute schon tun, um den Wandel zu gestalten?
Oft fühlen sich einzelne Lehrkräfte wenig einflussreich, gerade in der zuletzt erlebten Krise. Aber schon der Dalai Lama brachte das Beispiel, dass auch Kleines Großes bewirken kann, wieviel beispielsweise eine Mücke ausmachen kann, wenn man schlafen möchte. Eine Lehrkraft kann für ihren Unterricht sehr viel ausrichten, wenn sie so unterrichtet, wie es ihren Idealen wirklich entspricht. Was war die eigene Vision als Lehrkraft, mit der wir das Studium begonnen, das Referendariat gemeistert haben? Was wollten wir verändern, erreichen? Für wen wollten wir einen Unterschied machen? Das eigene WHY, also warum genau mache ich meinen Beruf, für wen möchte ich etwas verändern, kann sehr kraftspendend sein.
Bei der gelingenden Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, aus den leuchtenden Augen oder auch mal rauchenden Köpfen und dem Gefühl, gemeinsam weiter zu kommen, können Pädagog*innen eine sehr sinnstiftende Tätigkeit erleben. Darüber hinaus ist es wichtig und macht resilienter, Verbündete zu finden, im eigenen Jahrgang, im Kollegium oder auch außerhalb wie beispielsweise im #twitterlehrerzimmer.
Was ist wichtig für die Schule der Zukunft?
Du hast in deinem Buch mit verschiedenen Personen gesprochen – von Bildungsexpert*innen über Schulleitungen und Schüler*innen bis hin zu Eltern. Was kam dabei heraus?
Viele Menschen sind sich einig, von Prof. Andreas Schleicher (Chef der PISA-Studie) über Margret Rasfeld bis zur Mutter des Jungen im Autismus-Spektrum und den hessischen Landesschulsprechern. Sie wünschen sich eine Veränderung in Schulen, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven und Ursachengefügen: Weil sie der Meinung sind, dass es zu viele Verlierer*innen des Bildungssystems gibt, weil die Burnout-Rate bei Kindern und bei Lehrkräften steigt, weil das Bildungssystem immer noch nicht gerecht funktioniert oder weil der Unterricht sich zu wenig verändert hat. Ich habe aus allen Interviews viel gelernt, die Erkenntnisse gesammelt und in 17 Thesen für eine veränderte Schule zusammengefasst und in einer Grafik visualisiert. Ich nenne sie den BETA-Zirkel:
Darin stehen Menschen und das gemeinsame Tun im Mittelpunkt, da alle Begegnungen Lernsituationen darstellen, also auch wie wir Streit klären, wie das Schulgebäude aussieht, wer wie unterstützt wird oder Mitsprache hat zum Beispiel und auch was wir auslassen und wer eher übersehen wird. Im Innenkreis stehen die Menschen im Dreieck zwischen Sache, Beziehung und Entwicklung. Schule versteht den Unterricht häufig als sachorientiert, also das Lernen über Dinge und Zusammenhänge, viele Schulen fokussieren daneben auch noch die sozialen Beziehungen, also wer mit wem lernt, wie wir miteinander umgehen.
Darüber hinaus ist aber auch die Entwicklungsorientierung wichtig, wie wir Kinder und Jugendliche unterstützen, ihre ganz persönlichen Talente zu entdecken, eigene Wege zu finden, so dass jede und jeder nach dem Schulabschluss weiß: Darin bin ich besonders gut, dafür würde ein Team mich für eine Kooperation auswählen, das kann mein Beitrag sein. Dieses Dreieck kann man auch auf die Ebene der zweiten Ordnung des Kollegiums übertragen, das sich sachlich-fachlich weiterentwickeln soll, kooperativ-kollegial dabei weiter kommt und die einzelnen Persönlichkeiten in ihren Stärken anerkennt und fördert.
Im Außenkreis findet man im BETA-Zirkel schließlich die förderlichen Bedingungen, die gute Schulen brauchen. Sie können als Faktoren hemmend oder unterstützend wirken. Es gibt allerdings auch Schulen, die sich im Innenkreis, also aus dem eigenen System und aus eigener Kraft auch bei widrigen Umständen sehr innovativ entwickelt haben! Hier sind einige Brennpunktschulen zu finden, die aus der Not kreativ wurden. Es macht Mut, diese Schulen anzuschauen, gute Ideen zu adaptieren und anzupassen, wie es für das eigene System Schule passen kann. Auch hier wünsche ich allen Leser*innen den Mut, Neues zu wagen, auch Fehler oder Irrwege in Kauf zu nehmen, auch wenn wir die wahrscheinlich berufsbedingt nicht besonders mögen.