Beziehungsorientierte Begleitung zum Schulanfang – Interview mit Saskia Niechzial
Raus aus dem Kindergarten, rein in die Grundschule – der Schulanfang stellt für Schulkinder, Eltern und auch Lehrkräfte einen Umbruch dar. Wie eine beziehungsorientierte Begleitung und ein angstfreier Start in den Schulstart aussehen kann, hat Saskia Niechzial in ihrem neuen Buch „Hallo Schulanfang“ thematisiert.
Liebe Saskia – in deinem Buch “Hallo Schulanfang!” beschäftigst du dich mit der spannenden Zeit des Schulanfangs. Raus aus dem Kindergarten, rein in die Schule. Was war für dich der Anlass, ein Buch über den Übergang vom Kindergarten in die Schule zu schreiben?
Saskia Niechzial: Die Idee für dieses Buch wuchs im Grunde genommen so nach und nach. Zahlreiche und immer wiederkehrende Fragen zu diesem Thema auf meinen Social Media Kanälen, meine Kolumne beim ohhhmhhh-Magazin, die sich schwerpunktmäßig um dieses Thema drehte, die vielen Unsicherheiten von Eltern, die ich als Erstklasslehrkraft immer wieder spürte und letztlich die Einschulung meines eigenen Kindes kamen zusammen und zeigten mir: Hier ist eine Lücke, die ich gerne mit meinen Worten füllen möchte.
„Die Einschulung markiert einen sehr großen und einschneidenden Übergang für Kinder, aber eben auch für ihre Eltern. Das Loslassen nimmt dabei einen großen Stellenwert ein und viele Eltern fühlen sich im Hinblick auf den Schulstart ihres Kindes irgendwie außen vor.“
In deinem Buch geht es vor allem um die beziehungsorientierte Begleitung vom Kindergarten in die Schule – was versteht man unter einer beziehungsorientierten Begleitung?
Saskia Niechzial: Die Einschulung markiert einen sehr großen und einschneidenden Übergang für Kinder, aber eben auch für ihre Eltern. Das Loslassen nimmt dabei einen großen Stellenwert ein und viele Eltern fühlen sich im Hinblick auf den Schulstart ihres Kindes irgendwie “außen vor”. Mein Buch soll Eltern aus diesem Ohnmachtsgefühl herausholen und ihnen aufzeigen, dass sie trotz der vielleicht größeren Segeltouren ihres Kindes dennoch der sichere Hafen bleiben. Dass das Kind nun selbstständiger wird, aber keinesfalls plötzlich allein ist. Dass der Schulanfang ein gemeinsamer Weg ist und vieles, was das Kind auf diese Zeit vorbereitet am allerbesten in der Interaktion und in Beziehung passiert. Ganz besonders im Hinblick auf die emotionale Vorbereitung.
Du beschäftigst dich in zwei Kapiteln mit der Schulvorbereitung. Einmal die klassische Schulvorbereitung, wie Motorik, Sprache und kognitive Kompetenzen und einmal mit der Schulvorbereitung auf emotionaler Ebene. Inwiefern ist diese emotionale Vorbereitung genauso wichtig wie feinmotorische Übungen?
Saskia Niechzial: Im Vorfeld habe ich viel im Bereich des Vorschulmaterials recherchiert und mich mit bereits bestehenden Anregungen auseinandergesetzt. Häufiger Schwerpunkte dabei sind oft Elemente wie die Stifthaltung, Schwungübungen, Förderung der Feinmotorik oder Konzentrationsschulung. Das hat seinen Wert und ist auch oft Fokus der Schuleingangsuntersuchungen. Dabei hält die Schulwelt auch jenseits dieser klassischen Kompetenzen so eine Anforderungen bereit. Mit dem Start in die Schule müssen Kinder sich in einem komplett neuen Sozialgefüge zurechtfinden, Kontakt zu einer neuen Bezugsperson aufnehmen, in komplett neue Abläufe finden oder beispielsweise auch stärker mit Beobachtung und Bewertung umgehen. Dabei unterstützen emotionale Komponenten wie die Selbstkompetenz, das Äußern eigener Gefühle und Bedürfnisse, die Resilienz, das Wachstumsdenken (aka “Growth Mindset”) oder auch eine entwicklungsgerechte Frustrationstoleranz. Eltern bekommen durchaus zurückgemeldet, wenn es in diesen Feldern beim Kind noch etwas holpert, aber wie genau sie dann unterstützen, der Part fehlt oft. Und genau dabei möchte ich Eltern mit diesen Kapiteln an die Hand nehmen.
Saskia Niechzial ist Autorin des Buches „Hallo Schulanfang“ und seit über elf Jahren Grundschullehrkraft, selbst Mama von drei Kindern und daneben Autorin, Kolumnistin, Podcasterin und Bildungsaktivistin. Mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit, die sie unter anderem auf ihren Social-Media-Kanälen als liniert.kariert betreibt, möchte sie ein wenig Staub vom System pusten. Saskias Herzensangelegenheit ist dabei eine Schule auf Augenhöhe und das Lernen in Beziehung. Dazu gibt sie ihren mittlerweile über 100.000 Leser*innen unzählige Impulse aus verschiedensten Schwerpunkten des Schullebens und teilt ihre Erkenntnisse ebenso auf ihrer Website.
Du hast in das Buch deine Erfahrungen einfließen lassen – als Lehrkraft und als Mutter. Dies wird vor allem im Kapitel über die gelingende Zusammenarbeit zwischen Lehrkräften und Eltern deutlich. Welche Tipps und Ratschläge möchtest du Lehrkräften für diese Zusammenarbeit mit auf den Weg geben?
Saskia Niechzial: Im Grunde genommen gilt hier, was immer und grundlegend für die Elternzusammenarbeit gelten sollte: Es braucht Verständnis und Empathie. Wie oft habe ich im Entstehungsprozess gehört: “Ein Buch über den Schulanfang? Na ja, das ist dann was für die Helikoptereltern.” Diese Haltung bringt uns sicherlich nicht in ein förderliches Miteinander. So viele Eltern, völlig unabhängig merkwürdiger Schubladenbeschreibungen, blicken mit Sorgen Richtung Schulstart. Und ich verstehe das. Sein Kind in (nicht selten) völlig fremde Hände zu geben, einen Vertrauensvorschuss aufzubauen, in ein System, das sich nur sehr beschwerlich bewegt, sich frei zu machen von der Angst, das eigene Kind könne mit seinem Temperament vielleicht anecken – all das ist nicht einfach. Etwas, das viele Lehrkräfte oft dann nochmal neu verstehen, wenn sie selbst ihr erstes Kind in die Schule begleiten. Wenn wir als Lehrkräfte diese Ängste wahrnehmen und ihnen beruhigend begegnen, haben wir oft schon ein unheimlich wertvolles Fundament für die weitere Zusammenarbeit gelegt.
Der Schulbeginn ist für Kinder, Eltern und Lehrkräfte eine sehr aufregende Zeit mit vielen neuen Erfahrungen. Du benennst, dass unser Schulsystem zu oft noch in traditionellen Strukturen steckt. Wenn du einen Wunsch frei hättest, um den Schulbeginn anders zu gestalten. Was würdest du dir wünschen?
Saskia Niechzial: Ich wünsche mir mehr Brücken. Weg mit diesem harten Bruch zwischen Kindergarten und Schule. An manchen Orten klappen die Kooperationen und künftige Schulkinder dürfen davon profitieren. Vielleicht auch ganz besonders die, deren Elternhäuser aus den unterschiedlichsten Gründen nicht die Möglichkeiten haben, selbst viel begleitende Vorbereitung zu leisten (Stichwort: Bildungsgerechtigkeit). An vielen Orten allerdings lassen Personalmangel, finanzielle Engpässe oder fehlende Stunden durch z.B. steigende Verwaltungsaufgaben diese Brücken immer weniger zu. Ein weiterer Bereich, in dem sich unser Schulsystem erneut nicht mit Ruhm bekleckert und bei dem ich nicht müde werde, die Bildungspolitik in die Verantwortung zu nehmen. Bis dahin möchte ich eine Lanze brechen für all die wunderbaren Lehrkräfte, die so viel geben, um ihre ersten Klassen sicher im Schultrubel ankommen zu lassen und für alle Eltern, denen so viel daran liegt, auf der anderen Seite zu stützen. In der Hoffnung, dass mein Buch dabei einen kleinen helfenden Beitrag leisten kann.