Was sind für dich die wichtigsten Eckpfeiler dieser neuen Lernkultur und was ist ihr Mehrwert?
Judith Holle: Wir brauchen viel mehr problem- und handlungsorientiertes Lernen in der Schule. Schüler*innen sollten an realen Herausforderungen und Projekten lernen, die fächerübergreifend und interessengeleitet sind – genauso wie auch die gesellschaftlichen Herausforderungen, die es heute und in Zukunft zu lösen gilt, immer interdisziplinär sind.
Lernen ist ein individueller Prozess. Wir brauchen deshalb viel mehr Elemente der Selbststeuerung und Selbstorganisation im Lernen. Schüler*innen sollten sich eigene Lernziele stecken, die sie motivieren. Sie müssen die Möglichkeit haben, selbst den Weg zu wählen, auf dem sie dieses Ziel am besten erreichen können. Das erfordert ein hohes Maß an Selbstreflexion und Verantwortung der Schüler*innen, das sie aber auch nach der Schule dringend brauchen werden und das deshalb ein zentrales Ziel von Schule sein sollte.
Kooperatives Lernen ist ein weiterer Eckpfeiler für eine neue Lernkultur. Ob im Privaten oder späteren Arbeitsleben, ob bei der Lösung globaler Herausforderungen oder bei eigenen Unternehmungen: Die Kompetenz, gut im Team zu arbeiten, ist eine wichtige Basis für alle Schüler*innen. Gleichzeitig unterstützt es aber genauso auch ihre Lernprozesse.
Wir brauchen mehr Partizipation, die alle Bereiche von Schule durchdringt, auch das Lernen. Was lerne ich? Wo lerne ich? Wie lerne ich? Wann lerne ich? Das sind Fragen, bei denen Schüler*innen häufig nicht oder nur sehr eingeschränkt mitbestimmen können. Das zu verändern, hat vor allem auch mit einem Haltungswandel und einer intensiven Selbstreflexion der Lehrkräfte zu tun.
Das führt uns auch zum nächsten Punkt: Der Wandel der Lehrer*innenrolle. Wir reden dabei von Lernbegleiter*innen. Diesen Begriff nutzen mittlerweile viele Schulen, die sich in diesem Bereich auf den Weg machen. Denn die oben genannten Aspekte lassen sich nur dann umsetzen, wenn Lehrkräfte sich nicht primär als Wissensvermittler*in verstehen, sondern als Begleiter*in und Coach für individuelle Lernprozesse sowie als Ermöglicher*in von guten Lernräumen. Zu diesem Thema arbeiten wir auch sehr intensiv in unserer Fortbildungsreihe, der „Lernbegleiter Journey“.
Bei all dem ist die Digitalisierung natürlich eine unglaublich wichtige Unterstützung. Einerseits ist es wichtig, Digitalität ins Lernen zu integrieren, um Schüler*innen zu befähigen, sich sicher und kritisch in der digitalen Welt zu bewegen. Gleichzeitig sind digitale Geräte und Tools aber auch eine tolle Unterstützung für individuelle Lernprozesse. Sie ermöglichen viel einfacher die Bereitstellung von Lernmaterialien und Dokumentation von Lernprozessen und bieten die Möglichkeit, multimedial Inhalte zur Verfügung zu stellen und zu erarbeiten.