Wo sehen Sie besondere Herausforderungen? Dass unser Schulsystem veraltet ist, war uns allen ja schon davor klar.
Wie sagt man so treffend – Corona schlägt besonders bei Vorerkrankungen zu. Die Pandemie hat im Bildungsbereich einfach bestimmte Missstände radikalisiert, die wir schon vorher kannten. Die größte Herausforderung sehe ich darin, dass wir das Lehr- und Lernmodell umstellen müssen, um die Möglichkeiten neuer Medien besser nutzen zu können.
Was stellen Sie sich bei diesen Veränderungen des Lehr- und Lernsystems konkret vor?
Wir müssen radikal den Schalter umlegen und viel mehr vom Lernen ausgehen als von der Lehre oder vom Unterricht. Es wird Zeit, dass wir überlegen: Was brauchen die Lernenden eigentlich? Wofür kommen sie in die Schule und was können sie zuhause machen? Lehrkräfte können ein Blended Learning (dt.: Integriertes Lernen, Vermischung von E-Learning und Präsenzveranstaltungen) organisieren, also:
- das Selbststudium gut unterstützen,
- das miteinander Lernen mit neuen Medien auf ganz neue Füße stellen
- und sich in der Schule auf das konzentrieren, was nur in der Präsenz möglich ist.
Wir haben uns in der FernUniversität in Hagen von Anfang an mit der Frage beschäftigt: Wie unterstütze ich Lernende, die alleine zuhause sitzen? Für Schulen ist das aber ein neuer Gedanke. Und das erfordert neue Rollen, Materialien und eine gute Plattform-Umgebung.
Und: Ist das nicht die Gelegenheit für ein Lernen zwischen den Generationen? Warum holen wir nicht das, was die Schüler können, in den Klassenraum – es kann auch ein virtueller sein? Warum nutzen wir nicht deren Zugänge und Erfahrungen? Sie wissen, wie man digital Communities aufbaut, wo es die besten Lernvideos auf Youtube gibt usw. Das sollten wir ernst nehmen und zum Gegenstand einer gemeinsamen Betrachtung machen.
Hat die Schule der Zukunft denn überhaupt noch sowas wie einen Klassenraum?
Ja, auf jeden Fall! Aber nicht, damit mir dort jemand etwas mühsam erzählt, das ich mir auf anderen Kanälen besser hätte aneignen können. Schule ist viel mehr als die Vermittlung lexikalischen Wissens. Das ist überholt, Informationen bekommen wir doch heute auf anderen Wegen.
Umso mehr ist gute Lehre ganz wichtig. Ich glaube nicht, dass es weniger Präsenzzeiten geben sollte in Zukunft. Wir haben aktuell die Möglichkeit für einen Qualitätssprung in der Schule, wenn wir den Präsenzunterricht endlich frei räumen für das eigentlich Wichtige: das Miteinander, Erfahrungen zu reflektieren, die Schüler*innen etwas erarbeiten und präsentieren lassen und sie dabei begleiten. All die Konzepte, die moderne Pädagogik vorsieht, kann man doch viel besser umsetzen, wenn man das nutzt, was die neuen Medien uns zur Verfügung stellen.
Gute Pädagogen vor 200 Jahren hätten gesagt: „Wahnsinn, was es da jetzt für Möglichkeiten gibt. Visualisierung, Verknüpfung vielfältiger Lerninhalte, Arbeit mit Datenbanken, usw. …“ Noch nie war es so leicht, wirklich gutes Lernen zu organisieren.