VR/AR: Virtuelle Touren im Unterricht
Fremde Städte, andere Vegetationszonen und neue Biotope – all das und noch viel mehr können Lehrer*innen mithilfe von virtuellen Touren in ihren Unterricht integrieren. Was Virtual Reality eigentlich ist und welche Möglichkeiten es für die Anwendung im Klassenzimmer gibt, erklärt uns Roland Mevißen. Roland ist Lehrer und beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, was junge Menschen benötigen, um gegenwärtig und zukünftig an der Gesellschaft teilhaben und selbige auch gestalten zu können.
„Insgesamt ist es zunehmend schwieriger eine Aufteilung in eine reale Umgebung bzw. Umwelt, in eine Augmented Reality und eine virtuelle Umgebung vorzunehmen. „
In deiner Fortbildung stellst du verschiedene Tools vor, mit denen Lehrer*innen virtuelle Touren in ihren Unterricht integrieren können. Aber was sind virtuelle Touren oder VR und AR genau ?
Roland Mevißen: Um zu erklären was virtuelle Touren sind und wie sie sich in die erweiterte Realität (Augmented Reality) bzw. virtuelle Realität einordnen lassen, gilt es zu klären was wir unter der Realität bzw. virtuellen Realität verstehen.
Die Realität beschreibt unsere physische Umwelt und die virtuelle Realität als eine vollständig virtuelle Umwelt, also eine Umgebung die vollständig digital ist und die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen können. Hierfür ist jedoch zusätzliche Hardware nötig, wie beispielsweise eine VR-Brille, Haptik Geräte (Handschuhe, Anzüge, usw.), welche die Bewegungen der Träger*in in die virtuelle Umgebung übertragen. Dadurch kann dann ein Avatar gesteuert werden. Die Hardware kann aber auch ein haptisches Feedback an die Träger*in übertragen. Dadurch kann verstärkt ein Effekt eintreten, der als Immersion bezeichnet wird. Die Immersion beschreibt, dass das Bewusstsein der Nutzer*in für die reale Umgebung durch die illusorischen Stimuli soweit in den Hintergrund tritt, dass die virtuelle Umgebung als real empfunden wird.
Ein literarisches bzw. filmisches Beispiel, um Schüler*innen die Möglichkeiten der virtuellen Realität aufzuzeigen, ist das Buch bzw. der Film „Ready Player Number One“.
Zwischen der realen und der virtuellen Umgebung lassen sich die virtuellen Touren und die Augmented Reality einordnen. Bei AR-Anwendungen überwiegt in der Regel der Anteil der Realität und digitale Inhalte werden in Form von 3D-Modellen, wie in dem wohl bekanntesten Beispiel Pokemon Go, oder als Text, Bild, Video oder Audio der Nutzer*in auf ihrem Endgerät zur Verfügung gestellt. Bei den virtuellen Touren überwiegt jedoch der Anteil der Virtualität und Orte aus der Realität können in digitaler Form besucht werden. Die Abbildung der Realität erfolgt zumeist durch 360°-Bider oder 360°-Videos. Auch hierbei lassen sich zusätzliche Medien, wie 3D-Modelle, Bilder und Video in die Abbildung der Realität einbinden.
Insgesamt ist es zunehmend schwieriger eine Aufteilung in eine reale Umgebung bzw. Umwelt, in eine Augmented Reality und eine virtuelle Umgebung vorzunehmen. Einerseits ist es für uns und vor allem für Schüler*innen zunehmend alltäglich, dass digitale Inhalte durch Apps wie beispielsweise „Google Lens“ mit der realen Umgebung verknüpfen werden. So können mit dieser App Blumen, Konsumgüter, Bauwerke, usw. erkannt werden und die Nutzer*in erhält sofort weitere Informationen. Andererseits werden Gadgets wie beispielsweise AR-Brillen zu permanent genutzten Gegenständen. So zum Beispiel die Brillen „Echo Frames“ von Amazon oder die Google-Glass, die der Träger*in Informationen akustisch mitteilt oder auch direkt auf den Brillengläsern anzeigt.
Inwiefern können Lehrer*innen VR in ihren Unterricht integrieren? Wie sehen konkrete Unterrichtsszenarien aus?
VR-Touren lassen sich vielfältig in den Unterricht einbinden. Sie können zum einen als Lernmaterial zur Verfügung gestellt werden und zum anderen als Lernprodukt durch die Schüler*innen erstellt werden.
Die Schüler*innen können als Konsument*innen von VR-Touren beispielsweise im Erdkundeunterricht verschiedene Vegetationszonen besuchen und sich so die Merkmale dieser erarbeiten. Aber auch der Besuch von vielen Kunst- und Geschichtsmuseen ist möglich und bietet den Schüler*innen die Möglichkeit Exponate in ihren Lernprozess einzubinden, die sie sonst evtl. nie besuchen würden.
Für mich ist jedoch das Potenzial, welches die Erstellung von virtuellen Touren durch Schüler*innen birgt, noch interessanter. So können im Fremdsprachenunterricht beispielsweise Stadtführungen erstellt werden, welche im Rahmen eines Schüleraustausches den Gastschüler*innen zur Verfügung gestellt werden. Es bieten sich im Fremdsprachen und Deutschunterricht aber auch VR-Touren an, die der Gestaltung von Lernprodukten im aktiven, kreativen und transformatorischen Sprachgebrauch nutzen. Ein Beispiel hierfür ist die Weitererzählung von Geschichten, auf der Grundlage von 360°-Fotos.
Im Rahmen des Geschichtsunterrichts können die Schüler*innen bezogen auf ein Thema auf Spurensuche in der Region gehen und eine entsprechende VR-Tour erstellen. Die dabei entstandenen Lernprodukte können anschließend den Mitschüler*innen, wie auch andere Personen, präsentiert werden. Dieses Unterrichtsszenario lässt sich natürlich auch auf andere Fächer und Themen übertragen. Im Fach Biologie könnten virtuelle Touren zu verschiedenen Lebensräumen entstehen und im Religionsunterricht könnten digitale Führungen durch Kirchen, Moscheen und Synagogen erarbeitet werden.
Roland Mevißen Roland Mevißen ist Lehrer an einer Gesamtschule in Hessen für die Fächer Arbeitslehre und Chemie, Mitglied der Schulleitung und Lehrbeauftragter an der Justus-Liebig-Universität Giessen in der Arbeitsgruppe Didaktik der Arbeitslehre. In beiden Tätigkeitsbereichen beschäftigt er sich mit der Frage, was junge Menschen benötigen, um gegenwärtig und zukünftig an der Gesellschaft teilhaben und selbige auch gestalten zu können. Diese Überlegungen teilt er regelmäßig im Rahmen von Tagungen, Workshops und Fortbildungen sowie in Publikationen.
„Deutlich nachhaltiger ist der Einsatz von virtuellen Touren, wenn die Schüler*innen selbst zu den Produzent*innen werden. „
Frage: Wie nehmen Schüler*innen dieses Angebot an? Und ab welcher Altersklasse würdest du den Einsatz von VR empfehlen?
Für die Schüler*innen wirkt der erste Kontakt mit virtuellen Touren meistens motivierend und sie setzen sich intensiv mit den Inhalten auseinander. Jedoch lässt dieser Effekt sehr schnell nach, wenn der Einsatz von VR-Touren das reine konsumieren nicht übersteigt. Deutlich nachhaltiger ist der Einsatz von virtuellen Touren, wenn die Schüler*innen selbst zu den Produzent*innen werden. Die Erstellung findet meist in einem projektorientierten Prozess statt und bietet den Raum zur kreativen und kritischen Auseinandersetzung mit den Inhalten.
Sowohl der Konsum, als auch die Erstellung von virtuellen Touren kann schon in der Grundschule erfolgen. Jedoch sollten jüngere Schüler*innen (unter 13 Jahren) die virtuellen Touren ggf. nur an einem Display statt mit einer VR-Brille betrachten. Der Grund hierfür liegt zum einen am Effekt der Virtual-reality-sickness, der vergleichbar ist mit der Seekrankheit ist und zum anderen an fehlenden medizinischen Langzeitstudien, welche sich mit den Auswirkungen auf das kindliche Gehirn beschäftigen.
Was wird benötigt um virtuelle Touren zu erstellen?
Die Betrachtung von VR-Touren ist mit jedem Endgerät (Smartphone, PC, Tablet) möglich, dass über einen Internetanschluss verfügt. Am beeindruckendsten ist jedoch die Nutzung einer VR-Brille mit entsprechenden Controllern. Für die Erstellung einer eigenen virtuellen Tour empfehle ich für ein komfortables Arbeiten jedoch ein größeres Display. Daher sollte nach Möglichkeit ein Tablet oder ein PCs mit Internetanschluss genutzt werden. Zusätzlich wird bei der Produktion von VR-Touren noch eine Möglichkeit für die Aufnahme von 360°-Bildern benötigt. Aber auch hierfür reicht ein Smartphone oder eine Digitalkamera aus. Deutlich schneller geht dies jedoch mit einer 360°-Kamera.
Aktuell unterrichten viele Lehrer*innen im Fernunterricht oder im Wechselmodell. Eignen sich virtuelle Touren auch für den Onlineunterricht?
Virtuelle Touren eignen sich sowohl als Lernmaterialien als auch zur Erstellung von Lernprodukten im Onlineunterricht und erweitern die Methoden- und Medienvielfalt. Dafür sprechen auch die geringen Voraussetzung bzgl. der Medienkompetenz und der Technik.
Hast du Tipps für Lehrkräfte, die ihre erste virtuelle Tour erstellen wollen?
Leider wirkt der Begriff “virtuell” oft abschreckend und fälschlicherweise wird zumeist angenommen, dass umfangreiche Programmierkenntnisse Voraussetzung sind. Das ist bei den in der Fortbildung vorgestellten Anwendungen aber nicht der Fall. Wie bei der Erstellung der meisten Medienprodukte empfehle ich für die erste VR-Tour sich an KISS (Keep it short and simple) zu halten. Drei bis vier Szenen mit den entsprechenden Bildern, Texten und Audiokommentaren reichen für ein beeindruckendes Ergebnis schon aus und zeigen wie abwechslungsreich die Erstellung einer virtuellen Tour sein kann.
Online-Fortbildung:
Virtuelle Exkursionen im Unterricht
In dieser Online-Fortbildung lernst du, wie du und deine Schüler*innen virtuelle Exkursionen vornehmen, aber auch, wie ihr sie selbst erstellen könnt. Außerdem lernst du verschiedene kostenfreie VR-Touren kennen und wie du sie im Unterricht einsetzen kannst.