Besonders in Zeiten von Fernunterricht bekommt digitales Unterrichten eine immer wichtigere Bedeutung. Aber was bedeutet digitales Unterrichten eigentlich genau und was umfasst es?
Lena Kesting: Ich finde die Frage nicht ganz leicht zu beantworten, da hinter der Beschreibung “digitales Unterrichten” viel mehr steckt. In der öffentlichen Wahrnehmung wird Digitalisierung im Kontext Schule stark mit der Ausstattung von Schulen mit Hardware beschrieben. Viel interessanter und spannender ist es jedoch, wie sich das Unterrichten mit diesen Möglichkeiten verändern kann und was möglich wird. Daher bevorzuge ich den Begriff der zeitgemäßen Bildung, da Digitalisierung meiner Meinung nach eine Querschnittsaufgabe der Schulentwicklung ist und nicht einzelnd betrachtet werden kann.
Viele Lehrerinnen und Lehrer machen sich weltweit seit Jahren auf den Weg, Möglichkeiten der Digitalität in Bezug auf Unterricht zu erproben. Mit Beginn der Pandemie standen alle plötzlich vor der Herausforderung, unbekannte Formen des Unterrichts zu finden (Distanz-, Hybrid-, Präsenz- oder Wechselunterricht). Für mich umfasst das digitale Unterrichten nicht nur einen Ersatz, z.B. Buch durch eBooks, sondern die Neubelegung von Unterricht durch diese Möglichkeiten, z.B. durch orts- und zeitunabhängige Konzepte oder den verantwortungsvollen Umgang mit diesen Möglichkeiten.
In deiner Online-Fortbildung „10 Tipps zum Start für das digitale Unterrichten“ sprichst du auch das Mindset von Lehrer*innen an. Was meinst du damit genau und welche Haltung sollten Lehrkräfte deiner Meinung nach im Berufsalltag integrieren?
Ich bin der Meinung, dass das Unterrichten im 45-Minuten-Rhythmus von Fach zu Fach nicht mehr zeitgemäß ist. Ich würde es gerne mit den Ideen der VUCA-Welt etwas anschaulich machen. Es handelt sich um ein englisches Akronym.
Dinge, die heut noch aktuell und gültig sind, sind es morgen plötzlich nicht mehr (Volatilität). Erfahrungen aus der Vergangenheit, die zur Gestaltung der Zukunft nützlich sind, verlieren an Relevanz und Bedeutung (Unsicherheit). Die Welt wird zunehmend komplexer und Ursachen sind vielschichtiger und schwerer zu verstehen. Es gibt nicht mehr nur einen Lösungsweg (Komplexität). Quellen von Fakten müssen zunehmend hinterfragt werden, Abwägungen und Entscheidungen setzen den Mut zu Fehlern voraus (Mehrdeutigkeit).
Auf diese Welt können wir die Heranwachsenden nicht nur mit Fachkompetenzen begegnen. Kreativität, Kollaborativität, kritisches und komplexes Denken und Kommunikation sind die Schlüsselkompetenzen, die Schülerinnen und Schüler heute für ein Morgen brauchen. Faktenwissen tritt in den Hintergrund; künstliche Intelligenzen werden hier viel effektiver sein. Wir brauchen eine Gesellschaft, die mit dieser Technologie verantwortungsvoll umgehen kann und sich den Herausforderungen unserer Welt stellt, in friedlicher und nachhaltiger Zusammenarbeit.
Meiner Meinung nach identifizieren sich Lehrerinnen und Lehrer in ihrem beruflichen Alltag sehr mit den studierten Fächern. Das oben beschriebene Mindset jedoch hat einen Einfluss auf die Art des Unterrichtens und mögliche Inhalte, die zunehmend fächerübergreifend, offener und selbstgesteuert stattfinden. Eine fachliche Ausrichtung hat wenig mit den Anforderungen der Zukunft zu tun.