Dyskalkulie richtig erkennen und begegnen
Warum es für Lehrkräfte entscheidend ist, sich mit Dyskalkulie auseinanderzusetzen und welche Auswirkungen dies auf betroffene Schüler*innen hat, erklärt Katharina Pummerer in unserem Interview.
Warum es für Lehrkräfte entscheidend ist, sich mit Dyskalkulie auseinanderzusetzen und welche Auswirkungen dies auf betroffene Schüler*innen hat, erklärt Katharina Pummerer in unserem Interview.
Katharina Pummerer: Dyskalkulie ist keine bloße Mathe-Schwäche, sondern eine Lernstörung, die das grundlegende Zahlen- und Mengenverständnis betrifft. Für Lehrkräfte ist es deshalb wichtig, die Anzeichen zu erkennen und gezielt zu fördern – nicht durch Wiederholung des Schulstoffs, sondern durch Unterstützung auf basaler Ebene, z. B. beim Mengenverständnis oder dem Aufbau des Stellenwertsystems. Gerade in höheren Klassen fällt oft nicht auf, dass diese Grundlagen fehlen. Ohne entsprechendes Wissen besteht die Gefahr, an den eigentlichen Schwierigkeiten vorbeizufördern. Wird Dyskalkulie nicht erkannt, leidet das Selbstwertgefühl der Schüler*innen, oft verbunden mit Misserfolgserlebnissen und Schulangst – trotz normaler oder sogar hoher Intelligenz.
„Dyskalkulie ist keine bloße Mathe-Schwäche, sondern eine Lernstörung, die das grundlegende Zahlen- und Mengenverständnis betrifft.“
Katharina Pummerer: Schüler*innen mit Dyskalkulie haben oft Schwierigkeiten mit grundlegenden mathematischen Konzepten – etwa dem Erfassen von Mengen, dem Verständnis des Zahlenraums oder dem sicheren Umgang mit Rechenoperationen. Für sie ist Mathematik nicht nur schwer, sondern häufig gar nicht nachvollziehbar – Zahlen wirken abstrakt und bedeutungslos. Diese Unsicherheit zeigt sich z. B. in stark schwankenden Leistungen, zählendem Rechnen mit den Fingern weit über die Grundschule hinaus oder in der Unfähigkeit, Rechenwege nachzuvollziehen. Viele Betroffene geraten unter Druck, entwickeln Prüfungsangst oder vermeiden Mathe so weit wie möglich. Trotz großer Anstrengung bleiben Erfolgserlebnisse oft aus, was langfristig das Selbstvertrauen stark beeinträchtigen kann.
Besonders herausfordernd ist, dass diese Schwierigkeiten nicht immer sofort auffallen – denn viele Kinder entwickeln Strategien, um ihre Defizite zu kompensieren. Umso wichtiger ist ein geschulter Blick, der nicht nur auf das Ergebnis, sondern auf den Rechenweg und das Verständnis dahinter schaut.
Katharina Pummerer: Ein weitverbreiteter Mythos ist, dass Dyskalkulie einfach „zu wenig Übung“ oder „fehlender Fleiß“ sei. In Wahrheit haben betroffene Kinder oft einen hohen Arbeitsaufwand – nur leider ohne den gewünschten Lernerfolg, weil ihnen grundlegende mathematische Strukturen nicht zugänglich sind.
Ein weiterer Irrglaube ist, dass sich Rechenschwächen „von allein verwachsen“ würden. Ohne gezielte Förderung bleibt Dyskalkulie jedoch meist bestehen – und beeinträchtigt langfristig nicht nur schulische Leistungen, sondern auch den Alltag, z. B. beim Umgang mit Geld oder Zeit.
Auch das Vorurteil, dass Kinder mit Dyskalkulie einfach „nicht logisch denken können“, hält sich hartnäckig. Dabei haben viele Betroffene durchaus ein gutes logisches Verständnis – ihre Schwierigkeiten liegen spezifisch im Bereich der Zahlenverarbeitung.
In der Fortbildung ist es mir wichtig, solche Mythen aufzulösen und ein fundiertes, praxisnahes Bild von Dyskalkulie zu vermitteln – damit Lehrkräfte betroffene Schüler*innen realistisch einschätzen und wirksam unterstützen können.
Katharina Pummerer: Die frühzeitige Identifikation von Dyskalkulie ist entscheidend, um Lernlücken gar nicht erst chronisch werden zu lassen. Je früher erkannt wird, dass ein Kind nicht einfach „langsam“ rechnet, sondern grundlegende mathematische Konzepte nicht versteht, desto gezielter kann unterstützt und gefördert werden – bevor sich Misserfolge, Frust oder Schulangst verfestigen.
In der Fortbildung zeige ich Lehrkräften, worauf sie im Unterricht achten können: z. B. ungewöhnliche Rechenstrategien, fehlendes Mengenverständnis, dauerhaftes Zählen an den Fingern oder große Unsicherheit bei eigentlich einfachen Aufgaben. Dabei geht es nicht darum, Diagnosen zu stellen – sondern einen sensibilisierten Blick zu entwickeln und bei Bedarf den nächsten Schritt einzuleiten, etwa in Richtung Förderung oder schulpsychologischer Abklärung.
Katharina Pummerer: Die Zusammenarbeit mit Eltern und Fachpersonen ist entscheidend für die Unterstützung von Schülerinnen mit Dyskalkulie. Eltern merken oft als Erste, dass ihr Kind Schwierigkeiten beim Rechnen hat – zum Beispiel, wenn Hausaufgaben nicht allein erledigt werden können. Aber auch Lehrkräfte bemerken diese Probleme früh, besonders im Vergleich zu den Mitschüler*innen und dem erwarteten Lernstand.
In meiner Fortbildung gebe ich Lehrkräften praktische Tipps, wie sie Gespräche mit Eltern führen und das Thema Dyskalkulie ansprechen können. Lehrkräfte sind oft die ersten, die die Schwierigkeiten bemerken, sollten aber auch Fachpersonen wie Schulpsycholog*innen oder Dyskalkulietrainier*innen einbeziehen, um das Kind gezielt zu unterstützen. Der Austausch zwischen Lehrkräften, Eltern und Fachpersonen ist entscheidend, um das Kind bestmöglich zu fördern. In vielen Fällen reicht die Förderung innerhalb der Schule allein nicht aus, da der Bedarf an gezielter Dyskalkulieförderung oft über den Schulrahmen hinausgeht. Wichtig ist, dass Lehrkräfte verstehen, dass sie zwar den ersten Schritt machen sollten, aber der regelmäßige Dialog mit den Eltern und Experten notwendig ist.