Inklusion gestalten: Praxisnah mit Ansätzen der Sonderpädagogik
Im Interview mit Georgia Koutsianikouli erfährst du, wie du Inklusion im Schulalltag praxisnah gestalten kannst.
Im Interview mit Georgia Koutsianikouli erfährst du, wie du Inklusion im Schulalltag praxisnah gestalten kannst.
Georgia Koutsianikouli: Mich hat vor allem die Frage inspiriert, wie Lernen gelingen kann, wenn die Voraussetzungen dafür sehr unterschiedlich sind. Ich finde es faszinierend, wie individuell Kinder die Welt wahrnehmen und wie sehr gezielte Unterstützung dazu beitragen kann, Barrieren abzubauen. Besonders der Gedanke, dass jedes Kind ein Recht auf Bildung und Teilhabe hat – unabhängig von seinen Fähigkeiten oder Einschränkungen – motiviert mich, nach Wegen zu suchen, wie Unterricht wirklich inklusiv gestaltet werden kann. Dabei interessieren mich besonders die Schnittstellen zwischen sonderpädagogischen Ansätzen und inklusiver Didaktik, also wie wir spezialisierte Förderung in ein gemeinsames Lernen integrieren können.
„Mich hat vor allem die Frage inspiriert, wie Lernen gelingen kann, wenn die Voraussetzungen dafür sehr unterschiedlich sind.“
Georgia Koutsianikouli: Eine der größten Herausforderungen ist meiner Meinung nach, den sehr unterschiedlichen Lernvoraussetzungen aller Kinder gerecht zu werden – insbesondere, wenn Zeit, Personal oder passende Materialien fehlen. Viele Lehrkräfte möchten Inklusion leben, stoßen aber im Alltag auf strukturelle Grenzen, etwa durch große Klassen, fehlende Doppelbesetzungen oder unzureichende Diagnostikmöglichkeiten. Auch die Zusammenarbeit im multiprofessionellen Team und die Abstimmung zwischen allgemeine Schule und Sonderpädagogik erfordern viel Kommunikation und Offenheit.
Bei der Haltungssache ist es besonders wichtig, dass Inklusion bei uns selbst startet. Manchmal sind kleine Veränderungen im Unterricht ausreichend, um eine große Wirkung zu erzielen – sei es durch differenzierte Aufgaben, flexible Gruppenarbeit oder eine bewusste Sprache, die alle Kinder einbezieht.
Georgia Koutsianikouli: Meiner Meinung nach ist es entscheidend, Inklusion und sonderpädagogische Förderung nicht als Extra-Aufgabe zu sehen, sondern von Anfang an in den Unterricht zu integrieren. Wichtig ist, Aufgaben so zu gestalten, dass sie unterschiedliche Lernniveaus berücksichtigen – offene oder gestufte Aufgaben ermöglichen Individualisierung und lassen alle Schüler*innen mit ihren Stärken arbeiten. Routinen und klare Strukturen schaffen Sicherheit und entlasten im Alltag, während Austausch mit Kolleginnen und kurze Beobachtungen helfen, gezielt auf Bedarfe einzugehen. Auch digitale Tools können die Differenzierung unterstützen. Für mich zeigt sich: Wer die individuellen Bedürfnisse der Lernenden wahrnimmt und einbezieht, gestaltet Unterricht inklusiv und wirksam.
Georgia Koutsianikouli: Ich komme aus der Sonderpädagogik, das heißt, bei mir hatten alle Kinder im Unterricht einen Förderbedarf. Um den unterschiedlichen Lernvoraussetzungen gerecht zu werden, setzte ich ein offenes Raum- und Unterrichtskonzept um, das Freiräume für individuelles Lernen, Rückzugsmöglichkeiten und verschiedene Arbeitsstationen bot. Dabei orientierte ich mich stark an den Montessori-Prinzipien: Selbstständiges Entdecken, Lernen im eigenen Tempo, Freiarbeit und die Verbindung von Handeln und Denken standen im Vordergrund.
Die Inhalte vermittelte ich über kurze Impulse, demonstrative Beispiele oder Modellierungen, die die Kinder anschließend selbstständig oder in Kleingruppen bearbeiten konnten. Ergänzend erstellte ich individuelle Lernpläne, die auf Stärken und Förderbedarf abgestimmt waren und regelmäßig angepasst wurden, sodass Lernfortschritte sichtbar wurden.
Georgia Koutsianikouli: Ich sehe die zukünftige Entwicklung der inklusiven Bildung in Deutschland ziemlich zwiespältig. Inklusion wurde über die Jahre leider viel zu oft missverstanden – sie wird häufig auf Förderpläne, Sonderpädagog*innen oder bauliche Barrieren reduziert, also auf Dinge, die das Schulsystem „bereitstellen“ kann. Aber genau hier liegt das Problem: Wir drehen uns viel zu oft im Kreis um einen Begriff, ohne dass viele Lehrkräfte wirklich verstehen, was Inklusion bedeutet. Die meisten Lehrkräfte haben es selbst nie gelernt und sollen es trotzdem umsetzen – das führt zu Überforderung und Frustration.
Ich finde, es ist entscheidend, Lehrkräften zu vermitteln, dass Inklusion in erster Linie eine Haltung ist, nicht eine Checkliste von Maßnahmen. Inklusion startet bei jeder Lehrkraft selbst: bei meinem Mindset, bei meiner Bereitschaft, auf Vielfalt einzugehen, und bei der Art, wie ich mit meinen Ressourcen und Kapazitäten umgehe. Natürlich wünsche ich mir mehr Unterstützung – personell, materiell, organisatorisch –, aber realistisch betrachtet sehe ich wenig Hoffnung, dass die Politik diese Lücken zeitnah schließt.