Im Interview mit Dr. Nicole J. Fritzler erfährst du, warum Lese-/Rechtschreibstörungen (LRS) für alle Lehrkräfte ein wichtiges Thema sind, wie du typische Anzeichen frühzeitig erkennst und mit gezielten Maßnahmen eine inklusive Lernumgebung schaffen kannst.
22. September 2025
Was macht das Thema Lese-/Rechtschreibstörung (LRS) für Lehrkräfte so relevant, und warum ist es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen?
Dr. Nicole J. Fritzler: Etwa 5–8 % aller Schüler*innen sind von einer Lese-/Rechtschreibstörung betroffen. In fast jeder Klasse sitzen also mehrere Kinder, die beim Lesen und Schreiben besondere Schwierigkeiten haben – häufig auch ohne offizielle Diagnose. Ohne gezielte Unterstützung drohen nicht nur Lernrückstände, sondern auch wiederholte Frustrationserlebnisse, die zu einem geringen Selbstwertgefühl, Ängsten oder anderen psychischen Problemen führen können. Für Lehrkräfte bedeutet das, dass sie im Unterricht regelmäßig mit dieser Herausforderung konfrontiert sind.
Wer Hintergründe kennt und weiß, wie Differenzierung oder Nachteilsausgleiche sinnvoll umgesetzt werden, erleichtert nicht nur den Schüler*innen das Lernen, sondern sorgt auch für einen stressfreieren Unterrichtsalltag. So entsteht Handlungssicherheit, und gleichzeitig wird ein wichtiger Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit geleistet.
„Typische Anzeichen sind langsames, stockendes Lesen, Auslassen oder Vertauschen von Buchstaben sowie Schwierigkeiten beim sinnerfassenden Lesen.“
In deiner Fortbildung zeigst du, wie man LRS frühzeitig erkennen kann. Welche typischen Fehlerbilder sollten Lehrkräfte im Blick haben?
Dr. Nicole J. Fritzler: Die Fehler unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen anderer Schüler*innen, treten aber bei LRS häufiger, unsystematischer und über längere Zeit auf. Typische Anzeichen beim Lesen sind langsames, stockendes Vorlesen, Auslassen oder Vertauschen von Buchstaben, häufiges Raten sowie Probleme beim sinnerfassenden Lesen. Beim Schreiben zeigen sich Schwierigkeiten bei der Lautanalyse, fehlerhafte Anwendung von Rechtschreibregeln und eine sogenannte „Fehlerinkonstanz“, bei der dasselbe Wort mehrfach unterschiedlich falsch geschrieben wird.
Neben diesen fachlichen Auffälligkeiten sind emotionale Signale wichtig: sinkende Lernfreude, ein negatives Selbstbild oder Versagensängste können ebenfalls auf LRS hinweisen. Lehrkräfte sollten deshalb immer sowohl fachliche als auch emotionale Faktoren im Blick behalten.
Dr. Nicole J. Fritzler ist Psychologin (M.Sc.), die neben ihrer wissenschaftlichen und dozierenden Tätigkeit an der Universität Bielefeld (Pädagogische Psychologie) bereits seit 2015 im lerntherapeutischen und beraterischen Bereich tätig ist – insbesondere im Hinblick auf Lern- und Schulthemen sowie Elternberatung.
Nebenberuflich arbeitet sie vor allem mit Eltern von Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten – insbesondere im Bereich Lese-/Rechtschreibschwierigkeiten bzw. -störung (LRS) sowie Aufmerksamkeits-(Hyperaktivitäts-)Störung (AD[H]S). Sie begleitet Eltern dabei, das Selbstvertrauen und die Lernmotivation ihrer Kinder (wieder) aufzubauen, Ängste abzubauen und das Lernen zu Hause und in der Schule effektiv zu gestalten.
Als Autorin und Dozentin gibt sie ihr Wissen auch in Form von (Fach-)Publikationen sowie über Online-Workshops und -Fortbildungen weiter. Ihre Schwerpunktthemen sind unter anderem Lernschwierigkeiten und Lernunterstützung, Lese-/Rechtschreib- und Rechenschwierigkeiten (LRS/Dyskalkulie), die Förderung selbstregulierten Lernens sowie AD(H)S und Konzentrationsschwierigkeiten.
Ihr Online-Angebot zur Begleitung von Eltern sowie zu Vorträgen und Workshops für Lehr- und Fachkräfte ist auf der Website https://www.foerderimpuls.de/ zu finden.
Wie können Lehrkräfte das Bewusstsein für LRS in der gesamten Schulgemeinschaft fördern, um eine inklusive Lernumgebung zu schaffen?
Dr. Nicole J. Fritzler: LRS sollte nicht als individuelles Problem einzelner Kinder betrachtet werden, sondern immer im Zusammenspiel von Schule, Familie und externen Fachstellen. Wichtig ist ein transparenter und wertschätzender Umgang: Alle Beteiligten sollten verstehen, dass LRS nichts mit Intelligenz zu tun hat. Eine klare Thematisierung von Vielfalt und ein respektvoller Umgang mit Fehlern helfen dabei, Stigmatisierung zu verringern und Akzeptanz zu fördern.
Hilfreich sind außerdem gemeinsame Standards im Kollegium, systematische Förderkonzepte sowie verbindliche Regelungen zu Nachteilsausgleichen. Ergänzt wird das durch eine enge Zusammenarbeit mit Eltern und externen Fachleuten – so entsteht Schritt für Schritt eine inklusive Schulkultur.
Welche konkreten Beispiele für differenzierte Unterstützungsmaßnahmen kannst du nennen, die sich fächerübergreifend umsetzen lassen?
Dr. Nicole J. Fritzler: Eine große Rolle spielt das Arbeitsgedächtnis, das bei Schüler*innen mit LRS oft schneller überlastet ist. Deshalb sind kleinschrittige Anleitungen, Wiederholungen, Portionierungen von Aufgaben und visuelle Anker wie Symbolkarten oder Checklisten sehr hilfreich. Auch Multiple-Choice-Formate oder visuell dargestellte Arbeitsabfolgen erleichtern den Zugang.
Besonders bei auditiven Informationen sollte immer eine visuelle Unterstützung angeboten werden, zum Beispiel durch schriftliche Arbeitsaufträge oder Grafiken. Solche Maßnahmen sind niedrigschwellig, aber äußerst wirksam und lassen sich in allen Fächern umsetzen.
Was ist eine unerwartete Erkenntnis oder Aha-Moment, den du während deiner eigenen Auseinandersetzung mit LRS hattest, und wie hat diese Erfahrung deine Sichtweise auf das Lehren und Lernen verändert?
Dr. Nicole J. Fritzler: Ein entscheidender Aha-Moment war die Erkenntnis, dass nicht die eigentlichen Lese- und Rechtschreibfehler das größte Problem darstellen, sondern die psychischen Begleiterscheinungen. Viele Kinder entwickeln Versagensängste, Frust oder ein stark beeinträchtigtes Selbstwertgefühl – Faktoren, die nachhaltiges Lernen zusätzlich erschweren können.
Heute habe ich deshalb nicht nur die fachliche Förderung im Blick, sondern achte immer auch auf das emotionale Wohlbefinden. Außerdem ist mir bewusst geworden, wie wichtig die Einbindung von Eltern und Lehrkräften ist: Erst wenn auch sie gestärkt und entlastet werden, kann eine nachhaltige Förderung gelingen.
Online-Fortbildung
LRS erkennen und fächerübergreifend differenzieren
Du lernst, wie du LRS frühzeitig erkennen kannst und welche Rolle zentrale Faktoren wie das Arbeitsgedächtnis dabei spielen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf wirkungsvollen Maßnahmen für die Gestaltung von Nachteilsausgleich und Notenschutz sowie auf konkreten, differenzierten Unterstützungsstrategien für alle Fächer.
Im Interview mit Dr. Nicole J. Fritzler erfährst du, warum Lese-/Rechtschreibstörungen (LRS) für alle Lehrkräfte ein wichtiges Thema sind, wie du typische Anzeichen frühzeitig erkennst und mit gezielten Maßnahmen eine inklusive Lernumgebung schaffen kannst.
https://fobizz.com/wp-content/uploads/2025/08/Schuelerinnen-als-Medien-Peers-an-der-Schule-etablieren.jpg10801920Tanja Schneiderhttps://fobizz.com/wp-content/uploads/2024/01/fobizz_logo-min-495x244.pngTanja Schneider2025-08-08 10:36:512025-08-08 10:36:51Schüler*innen als Medien-Peers an der Schule etablieren
https://fobizz.com/wp-content/uploads/2018/10/laptop-mit-kaffeetasse.jpg564865Alinahttps://fobizz.com/wp-content/uploads/2024/01/fobizz_logo-min-495x244.pngAlina2025-08-06 08:22:032025-08-06 10:58:48So startest du organisiert in das neue Schuljahr!
Drei spielerische Aktivitäten für die Unter- und Mittelstufe helfen Kindern dabei, sich in Gruppen kennenzulernen. Ob Gemeinsamkeiten finden, Steckbriefe tauschen oder „Wahrheit oder Lüge“ – diese Spiele fördern Kommunikation und Gemeinschaft.
https://fobizz.com/wp-content/uploads/2025/07/Berufsschule-scaled.jpg17072560Michellehttps://fobizz.com/wp-content/uploads/2024/01/fobizz_logo-min-495x244.pngMichelle2025-07-25 11:34:112025-07-25 11:34:11Starke Gruppen von Anfang an: Mit Kennenlernspielen in der Berufsschule
Drei spielerische Aktivitäten für die Unter- und Mittelstufe helfen Kindern dabei, sich in Gruppen kennenzulernen. Ob Gemeinsamkeiten finden, Steckbriefe tauschen oder „Wahrheit oder Lüge“ – diese Spiele fördern Kommunikation und Gemeinschaft.
https://fobizz.com/wp-content/uploads/2025/07/Kennenlernspiele_Mittelstufe-scaled.jpg16062560Michellehttps://fobizz.com/wp-content/uploads/2024/01/fobizz_logo-min-495x244.pngMichelle2025-07-25 09:56:182025-07-25 09:56:45Kennenlernspiele für die Unter- und Mittelstufe
Die erste Schulwoche ist für Grundschulkinder spannend – aber oft auch herausfordernd. Neue Gesichter, neue Regeln, neue Routinen. Gerade jetzt ist es entscheidend, eine vertrauensvolle und offene Atmosphäre zu schaffen, in der sich alle Kinder willkommen fühlen.
https://fobizz.com/wp-content/uploads/2025/07/Grundschule_Kennenlernspiele-scaled.jpg17072560Michellehttps://fobizz.com/wp-content/uploads/2024/01/fobizz_logo-min-495x244.pngMichelle2025-07-25 08:16:472025-07-25 09:57:10Kennenlernspiele für die Grundschule
Gastbeitrag von Lehrerin Isabelle Schuhladen: Wie eine 6. Klasse KI kennenlernte – von Bildgenerierung bis zum gezielten Prompten für den Einsatz im Unterricht.
https://fobizz.com/wp-content/uploads/2025/06/KI_Klassenarbeit-scaled.jpeg25601920Michellehttps://fobizz.com/wp-content/uploads/2024/01/fobizz_logo-min-495x244.pngMichelle2025-06-26 16:31:052025-06-26 17:01:48Mit KI zur besseren Klassenarbeit – Ein Erfahrungsbericht aus der 6. Klasse