Digitale Lernpfad-Portfolios im Unterricht einsetzen
In diesem Interview erklärt dir Studienrätin Dr. Melanie Hoffmann, was digitale Lernpfad-Portfolios sind und warum sie nicht nur die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung deiner Schüler*innen fördern, sondern auch, warum die Portfolio-Arbeit dich als Lehrkraft entlastet. Außerdem erfährst du, wie wenig es braucht, um digitale Lernpfad-Portfolios in deinen Unterricht einzuführen.
„Mit einem digitalen Lernpfad-Portfolio schafft man es, sich die guten Aspekte der Portfolio-Arbeit zu sichern und die negativen Aspekte eines analogen Portfolios zu beseitigen.“
In deiner Online-Fortbildung bei fobizz geht es darum, wie man eigene digitale Lernpfad-Portfolios plant und im Unterricht einführt. Wie unterscheiden sich digitale Lernpfad-Portfolios von analogen Portfolios?
Melanie Hoffmann: Die meisten von uns kennen Portfolios sowohl aus Schüler*innen als auch Lehrer*innen Sicht. Und oft genug fühlt sich die Portfolio-Arbeit (auf beiden Seiten) eher überfordernd, zeitfressend und arbeitsintensiv an. So viel Aufwand für wenig (Lernprozess-) Ertrag. Bei der Rückgabe wird die Note zur Kenntnis genommen, eventuell werden noch die Bemerkungen/Korrekturen überflogen und dann wird das Portfolio in die Schultasche gesteckt und nie wieder geöffnet. Daraus gelernt wird wohl eher nicht.
Dabei kann die Portfolio-Arbeit so wertvoll sein, denn sie fördert die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung der Lernenden, die sich über einen längeren Zeitraum intensiver mit einem Themenkomplex beschäftigen. Sie lässt es grundsätzlich zu, dass die Lernprozesse in den Mittelpunkt rücken können, wenn die Arbeitsergebnisse reflektiert, besprochen und überarbeitet werden können. Mit einem analogen Portfolio ist das aber im normalen Unterrichtsablauf kaum leistbar.
Hier kommt das digitale Portfolio ins Spiel. Der digitale Aspekt ermöglicht es, dass der Lernprozess der Schüler*innen laufend dokumentiert und reflektiert werden kann. Ganz entspannt während des Unterrichts, im eigenen Tempo, mit Zeit für wertschätzende Begleitung der Lernenden und ganz ohne plötzlich aufploppende Korrekturberge auf dem Schreibtisch. Die namensgebenden „Lernpfade“ sorgen dafür, dass die Schüler*innen weder über- noch unterfordert sind. Außerdem brauchst du nicht mehr der „Dirigent der Klasse“ zu sein, der minutengenau „runde“ Stunden planen muss. Tschüss, Unterrichtsgleichschritt!
Kurz gesagt: mit einem digitalen Lernpfad-Portfolio schafft man es, sich die guten Aspekte der Portfolio-Arbeit zu sichern und die negativen Aspekte eines analogen Portfolios zu beseitigen.
Wie kann man sich die Arbeit mit einem digitalen Lernpfad-Portfolio im Unterricht vorstellen?
Melanie Hoffmann: Wenn man sich das für den eigenen Unterricht vorstellen möchte, ist es wichtig keinen Unterrichtsgleichschritt (alle Schüler*innen stehen am gleichen Punkt) vor Augen zu haben. Außerdem muss man sich als Lehrkraft in der Rolle einer Lernbegleitung sehen und nicht (mehr) als zentrales Wissensmonopol in Bezug auf den Unterrichtsablauf und die Inhalte. An die zentrale Stelle des Lernens kommt das digitale Lernpfad-Portfolio. Das Portfolio funktioniert dabei als ein „Navigationsgerät“, mit dem die Lernenden immer wissen, was sie tun müssen.
Auf ihrem Lernpfad sind die Schüler*innen auch nicht allein. Kleine Lerngruppen schulen die Kooperationsfähigkeit und helfen gegen Überforderung und Frust.
Einen großen Stellenwert bekommen zusätzlich Feedback und die Bewertung von den Mit-Lernenden. Alles zusammen führt zu einem ganz entspannten Unterricht, bei dem die Lerngruppen eigenverantwortlich und im eigenen Tempo ihrem Lernpfad folgen, während die Lehrkraft individuell hilft sowie (zusätzlich zu den Mit-Schüler*innen) Rückmeldungen und Bewertungen gibt.
Wie die Lernpfade im Portfolio gestaltet sein müssen, um die Schüler*innen zu ihrem Lernziel zu navigieren, wie die Gruppenarbeit intern und gruppenübergreifend funktioniert und welche Aufgaben man als Lernbegleitung hat, erkläre ich ausführlich in meiner Fortbildung.
Dr. Melanie Hoffmann ist Studienrätin für das Berufskolleg, promovierte Molekularbiologin und bezeichnet sich selbst als „Digitale-Schule-Optimistin“. Denn sie brennt für digital unterstützten Unterricht und ist davon überzeugt, dass Lehrkräfte, die sich für mehr digitale Medien in der Schule einsetzen, langfristig eine echte Veränderung in das Schulsystem bringen können. Nicht, indem sie auf eine Veränderung von außen warten, sondern selbst die Veränderung in die Schulen bringen. Weg von Bulimie-Lösungsweg-reproduzierenden-Lernenden mit Bedien-mich-Haltung. Und einer Wissensmonopol-Lehrkraft als Dirigent*in einer minutiös durchgeplanten Unterrichtsstunde.
Hin zu selbstständigen Schüler*innen, die gelernt haben eigenverantwortlich zu arbeiten, nachhaltig zu lernen und dieses Wissen anzuwenden.Und Lieblingslehrkräften, die wertschätzend und individuell für ihre Schüler*innen da sind und ihnen ermöglichen, selbstgesteuert zu lernen. Die ihre Lernenden fit für die noch unbekannten Herausforderungen ihrer Zukunft machen.
Welche technischen Voraussetzungen müssen an Schulen, sowie bei Lehrkräften und Schüler*innen erfüllt sein, damit digitale Lernpfad-Portfolios im Unterricht integriert werden können?
Melanie Hoffmann: Gar nicht mal so viele, wie man vielleicht glauben mag. Man braucht keine digitale Vollausstattung der Schule. Das haben ja eh die wenigsten Schulen. Und man muss als Lehrkraft und Schüler*in auch kein Profi in der Nutzung von digitalen Medien sein.
Es reicht völlig aus, wenn man schon mal erste Erfahrungen mit der Nutzung digitaler Medien oder Tools im Unterricht gesammelt hat. Dann dürften nämlich ausreichend Erfahrungswerte bei allen Beteiligten und zumindest die technische Minimalausstattung vorhanden sein.
Konkret heißt das, pro Lerngruppe (3-4 Schüler*innen) ein digitales Endgerät (es geht auch ein Smartphone) und halbwegs stabiles WLAN im Klassenraum. Mehr Ausstattung ist natürlich hilfreich – auch wenn es nur der schulische Computerraum ist – aber nicht zwingend notwendig. Die digitalen Medien sind ja letztendlich nur ein Werkzeug, mit deren Hilfe es möglich wird, dass das Lernen zeit- und ortsunabhängig wird und das bedeutet eben nicht, alles auf eine rein digitale Nutzung auszurichten. Weder für den Start noch langfristig gesehen. Dafür gibt es zu viele Dinge, die weiterhin analog bleiben sollten, wie z.B. Anschauungsmaterial, Experimente oder praktische Erfahrungen.
In meiner Fortbildung zeige ich, wie man ganz einfach mit dem beginnen kann, was man auch bislang für den Unterricht verwendet hat und gebe einen Ausblick darauf, wie man schrittweise mehr digitales Material bzw. digitale Tools einbinden kann.
Welche Inhalte eignen sich für die Erstellung digitaler Lernpfad-Portfolios?
Melanie Hoffmann: Generell gibt es keine Begrenzung auf bestimmte Inhalte. Das digitale Lernpfad-Portfolio enthält als zentrales Element des Unterrichts alles was be- und erarbeitet wird. Und, wie eben schon erwähnt, lässt sich dabei auch analoges Unterrichtsmaterial mit in die Lernpfade einbinden. Zum Beispiel kann im Lernpfad einfach auf ein Buch, Arbeitsblatt oder Anschauungsmaterial verwiesen werden.
Lernergebnisse der Schüler*innen müssen lediglich in irgendeiner Form (analog oder digital) dokumentiert bzw. festgehalten werden, damit sie zeitunabhängig begutachtet werden können. Weitere Tipps und Tricks dazu findest du in meiner Fortbildung.
Können digitale Lernpfad-Portfolios in jedem Fach gleichermaßen gut eingesetzt werden oder gibt es Fächer, in denen sich der Einsatz besonders gut eignet?
Melanie Hoffmann: Ein digitales Lernpfad-Portfolio eignet sich für jedes Fach, in dem die Schüler*innen sich theoretisches Wissen aneignen müssen und/oder Anleitungen für eine praktische Umsetzung benötigen.
Ohne alle Fächer (und damit indirekt verbunden auch Schulformen) im Detail zu kennen, fallen mir da lediglich sehr „praxisorientierte“ Fächer, wie der Sport- oder Musikunterricht in der Grundschule ein, die vielleicht weitgehend ohne (verschriftlichte) Theorie oder Anleitungen auskommen.
Umgekehrt eignen sich also alle Fächer besonders gut, die einen großen Anteil an Wissen vermitteln, welches man sich sehr gut (oder vielleicht sogar noch besser) digital aneignen kann.
Welche Tipps kannst du Lehrkräften an die Hand geben, die digitale Lernpfad-Portfolios in ihren Unterricht neu einführen wollen?
Melanie Hoffmann: Tipp 1: „Starte unperfekt.“ oder auch: Brems dich nicht selber aus.
Wenn es dir wichtig ist, dass deine Schüler*innen selbstständiger und eigenverantwortlicher ihren Lernprozess in die Hände nehmen können, dann geh einfach dafür los. Streich Gedanken wie „Das hört sich viel zu kompliziert an!“ oder „Das schaffe ich nicht!“ und ersetz sie durch „Ich teste das jetzt mal, gehe einfach los und lerne auf dem Weg!“. Denn es ist nicht wichtig, dass das Portfolio von Anfang an perfekt ist. Man darf als Lehrkraft nicht nur selbst predigen, dass Fehler Helfer sind, sondern auch selbst Fehler machen – das Portfolio wird sich eh mit der Zeit ändern.
Tipp 2: „Warte nicht auf die Veränderung, sei die Veränderung.“* oder auch: Lass dich nicht von anderen ausbremsen.
Irgendwelche Zweifler und „Das geht so nicht!“-Menschen (Lehrkräfte, Eltern, Vorgesetzte) werden dir immer begegnen. Sie werden sagen, dass man so nicht unterrichten kann.
Das Schulgesetz stärkt dir da den Rücken. Denn dort steht, dass die Schüler*innen ein Recht auf individuelle Förderung haben, dass sie fit für das (lebenslange) Lernen werden sollen und auch die Medienkompetenz dabei wachsen muss. Vom Unterricht im Gleichschritt steht da nix. Zweifle also nicht daran, dass du eine Veränderung bewirken und den ersten Schritt gehen kannst.
(*Gandhi)
Online-Fortbildung:
Digitale Lernpfad-Portfolios im Unterricht einsetzen
In dieser Online-Fortbildung lernst du, wie du deine eigenen digitalen Lernpfad-Portfolios planst und im Unterricht anwendest.