Interview mit Bildungsinfluencer Bob Blume: „Wir haben noch unheimlich viel aufzuholen“
Mangelhafte Digitalisierung, fehlende technische Ausrüstung, ein veraltetes Schulsystem – darum geht es in dem neuen Buch „10 Dinge, die ich an der Schule hasse – und wie wir sie ändern können“ von Lehrer und Bildungsinfluencer Bob Blume. Uns hat er erzählt, was ihn am meisten stört und was wir schon morgen tun können, um Schule besser zu machen.
„Wir müssen uns entscheiden, ob wir weiter Fließbandarbeit wollen und die Kinder durch den Stoff schleusen oder ob wir die Herausforderungen unserer Zeit endlich ernst nehmen.“
Erst einmal herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen Buch, lieber Bob! Du benennst 10 Dinge, die du an der Schule “hasst”. Ein starkes Wort! Wenn du auswählen müsstest, welche drei – sagen wir mal – “stören” dich denn am meisten?
Bob Blume: Ich will nicht zu viel vorwegnehmen, da ich am Ende des Buches auch drei Dinge heraus stelle, aber man kann wohl sagen: Zeit, Personal und Ressourcen. Anspruch und Wirklichkeit klaffen einfach unglaublich auseinander, so dass man oft hört: Ich würde ja gerne alles schaffen – den “Stoff” vermitteln, den Bildungsplan erfüllen, pädagogisch arbeiten, mich digital weiterbilden – aber ich schaffe es einfach nicht. Und das kann einfach nicht sein. Wie ist es passiert, dass politisch nur noch zu hören ist, dass alles irgendwie wieder “normal” werden soll? Auch vor Corona gab es schon kein “normal” mehr. Wir müssen uns entscheiden, ob wir weiter Fließbandarbeit wollen und die Kinder durch den Stoff schleusen oder ob wir die Herausforderungen unserer Zeit endlich ernst nehmen.
Du forderst in deinem Buch u.a. mehr Freiräume und flexibleres Lernen. Wie kann das konkret aussehen?
Diese Antwort hat zwei Ebenen, die natürlich beide Komplex sind. Die eine ist die individuelle: Es gibt ja viele Lehrer*innen, die jetzt schon anders arbeiten, als es beispielsweise die Eltern der momentanen Schülergeneration gewohnt sind. Das bedeutet, den Unterricht aufzubrechen. Mehr individuelles Arbeiten zulassen. Schüler*innen den Freiraum geben, eigene Schwerpunkte zu setzen. Über jedes dieser Themen könnte man ein eigenes Buch schreiben. Die zweite Ebene ist: Schulleitung und Schulbürokratie. Ich bin der festen Überzeugung, dass nur gemeinsames Handeln mit dem ganzen Kollegium eine tatsächliche Veränderung erwirken kann. Dann muss man die Schulen aber auch machen lassen und nicht jeden Schritt bürokratisch erschweren.
Bob Blume ist Lehrer, Schulbuchautor und Bildungsinfluencer. Außerdem wurde er gerade mit dem Goldenen Blogger zum “Blogger des Jahres 2022” ausgezeichnet. Seine Themen sind vor allem die digitale Bildung, das Referendariat, Unterrichtsgestaltung und neue Lern- und Lehrkulturen. Fotocredit: Thomas Clemens
Ein weiteres Thema ist natürlich die Digitalisierung. Was würdest du sagen, wo stehen wir gerade mit der Digitalisierung an Schulen?
Leider muss man aufgrund des Bildungsförderalismus ja immer sagen: Mal so, mal so. Etwas drastischer: Die Schere klafft immer weiter auseinander. Ist ja auch kein Wunder: Administratoren und geschultes Personal fällt ja nicht vom Himmel.
Deshalb bleibe ich auch dabei zu sagen: Wir haben noch unheimlich viel aufzuholen. Was die Infrastruktur angeht, die Geräte, die Fortbildungen – und auch ganz grundsätzlich rechtssichere Möglichkeiten zu arbeiten. Es gibt einfach zu viel Unsicherheit und die geht auch nicht von politischen Lippenbekenntnissen weg. Es muss weiter investiert werden!
Wenn man über Schule und Unterricht spricht, geht es dabei auch immer um Noten. Wie würdest du die Prüfungskultur gerne verändern?
Ja, dazu gibt es in dem Buch ein ganzes Kapitel. Mir geht es nicht nur darum, welche Art von Prüfungen, sondern auch den Zeitpunkt. Momentan finden Prüfungen zu einem Zeitpunkt statt, an dem man sich nicht verbessern kann. Denn es geht ja weiter mit dem “Stoff”. Das kann nicht der Anspruch von Schule sein. Aber Noten haben nicht nur mit Prüfungen zu tun. Ich prangere ganz grundsätzlich an, dass sie nicht halten, was man ihnen zuspricht. So, wie wir es jetzt machen, zerstören Noten oftmals die Lust am Lernen. Und Prüfungen auch. Das kann ja nicht der Anspruch von Schule sein.
„Make a difference! Die Schulkultur muss diese Menschen unterstützen und zeigen: Wenn ihr Lust habt, eure Ideen einzubringen, seid ihr als Lehrer*in genau richtig!“
Der Lehrermangel droht sich in den nächsten Jahren dramatisch zu verschlimmern. Die Lehrkräfteausbildung und der Beruf als Lehrer*in bleibt für viele aber weiterhin sehr unattraktiv. Was sind deine Gedanken dazu?
Die Frage ist ja: Wer möchte Lehrer*in werden? Sind es diejenigen, die an einem chilligen Job interessiert sind und die “halt irgendwie in der Schule auch mitkamen”. Oder sind es junge Leute, die Lust darauf haben, sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stellen? Die, wie es im Englischen immer wieder heißt, den Unterschied machen wollen. Make a difference! Die Schulkultur muss diese Menschen unterstützen und zeigen: Wenn ihr Lust habt, eure Ideen einzubringen, seid ihr als Lehrer*in genau richtig! Und das bedeutet aus meiner Sicht auch, dass sich die Lehrkräfteausbildung ändern muss. Weniger Fokus auf den einzelnen Teil des Unterrichts, hin zu einem Lernen im Team, das auch Schulentwicklung einbezieht.
In einem Kapitel deines Buches geht es um “schlechte Lehrer”. Was macht für dich einen schlechten Lehrer bzw. eine schlechte Lehrerin aus?
Auch hier will ich nicht zu viel vorwegnehmen. Und ich weiß, dass ich mich hier auf ganz dünnem Eis bewege. Wenn ich das an dieser Stelle sagen kann: Ich hoffe sehr, dass sich nicht die falschen angesprochen fühlen, diejenigen nämlich, die alles tun, damit Schule läuft, sich weiterentwickelt, vorangeht. Vielleicht als kleiner Teaser: Ich habe in meinem Social-Media-Nachrichten immer wieder von Menschen gehört, die schrieben: Ich will ja was reißen, aber man lässt mich nicht. Man kann ja unterschiedlicher Meinung sein. Aber zu bremsen, weil: “Das haben wir schon immer so gemacht”, das finde ich nicht mehr zeitgemäß.
„Wir müssen mutiger sein!“
Partizipation von Schüler*innen, aber auch Eltern in Schule ist dir wichtig. Wie bindest du selbst Eltern in deinen Schulalltag ein?
Vor allem dort, wo man nicht unter Druck steht. Die Medien-AG beispielsweise ist so autark, dass sie auch weiter gemacht haben, als ich auf dem Weg zum “Goldenen Blogger” nach Berlin war. Die Projekte, die wir machen, werden von den Schüler*innen ausgearbeitet und mitbestimmt. Vor einigen Wochen haben wir die ganze Schulgemeinschaft eingebunden, indem wir nach Ideen für die Schule gefragt haben. Darauf meldete sich auch eine Mutter, die sich bereiterklärte, an einem Projekt für eine saubere Schule mitzuarbeiten. Leider steckt das Projekt nun gerade im Stau der Behörden. Aber das wären Beispiele.
Was machen wir denn jetzt, Bob? Wie können wir morgen beginnen, Schule besser zu machen?
Wir müssen mutiger sein! Und uns darauf einigen, dass es einer Veränderung bedarf, wenn wir nicht wollen, das ganze Schülergenerationen trotz Schule lernen und etwas lernen, das sie begeistert, und nicht wegen ihr.
Und eine letzte Frage zum Schluss: Warum hat die Welt auf dein Buch gewartet?
Das zu sagen wäre vermessen. Mein Buch ist ein Panorama von Dingen, die sich während Corona zugespitzt haben. Und während ich auf Instagram Posts zu den verschiedenen Ungeheuerlichkeiten veröffentlicht habe, schrieben immer wieder Menschen in den Kommentaren: Du bringst es auf den Punkt. Das ist meine Hoffnung. Ich glaube nicht, dass ich das Rad neu erfinde. Aber wenn viele Menschen sagen: Genau, du bringst es auf den Punkt und darüber sollten wir weiter sprechen, dann wäre ich mehr als zufrieden.