Umgang mit Heterogenität in Klassenzimmer
In diesem Interview erklärt dir Sozialpädagogin und Lehrerin Neela Gerken, was man unter Heterogenität im Klassenzimmer versteht und wie der richtige Umgang damit sogar entlastend sein kann.
In deiner neuen Online-Fortbildung bei fobizz geht es um Heterogenität im Klassenzimmer. Wie unterscheidet sich Heterogenität von Diversität und Inklusion?
Neela Gerken: Heterogenität bezieht sich auf das, was deine Schüler*innen mitbringen, also ihre unterschiedlichen individuellen Lernvoraussetzungen. Aus welcher Lebenswirklichkeit kommen sie? Welche sprachlichen und sozialen Kompetenzen bringen sie mit? Welche allgemeinen Lebenserfahrungen haben deine Schüler*innen bisher gesammelt? Welches Vorwissen haben sie bereits zu verschiedenen Themen?
Diversität beschreibt unterschiedliche Lebensumstände, zum Beispiel Herkunft, Bildung der Eltern und Familieneinkommen. Inklusion – im schulischen Kontext – bedeutet, dass Schüler*innen mit und ohne Förderbedarf gemeinsam unterrichtet werden.
Diversität und Inklusion tragen also dazu bei, dass unsere Schulen und Klassen heterogen sind. Damit werden sie auch abwechslungsreich, spannend und herausfordernd.
“Eine großartige Art und Weise, wie sich eine wertschätzende Grundhaltung explizit und ritualisiert im Unterricht einbinden lässt, ist das positive Feedback.”
Warum spielt Wertschätzung hierbei so eine wichtige Rolle?
Neela Gerken: Jedes Kind bringt Freude am Lernen mit – so funktionieren unsere Gehirne! Wertschätzung erhält diese Freude. Damit ist sie wie ein Motor fürs Lernen! Schüler*innen – egal welches Alters – die in einer wertschätzenden Umgebung sind, in der ihnen Fortschritte zugetraut und ihr Bemühen geschätzt werden, sind auch emotional offen, sich auf den Lerngegenstand einzulassen. Auch, wenn dieser erstmal sehr herausfordernd erscheint.
Lernt ein Kind laufen, trauen ihm die Erwachsenen auch zu, dass es das schaffen wird. Egal, wie oft es hinfällt, werden die kleinen Fortschritte gefeiert und – wortwörtlich – helfende Hände gereicht. Hier werden Kinder in der Regel nicht dafür kritisiert oder entmutigt, wenn sie nur drei Schritte schaffen, sondern sie und ihr Umfeld freuen sich an den drei kleinen Schritten. Diese wertschätzende Grundhaltung – der Blick auf die Kompetenzen, auf das, was ein Kind schafft – ermöglicht es allen Schüler*innen ihr Potenzial zu entfalten und die Freude am Lernen, die jedes Kind mitbringt, beizubehalten.
Eine großartige Art und Weise, wie sich eine wertschätzende Grundhaltung explizit und ritualisiert im Unterricht einbinden lässt, ist das positive Feedback, dessen Umsetzung du in der Fortbildung lernst.
Neela Gerken ist eine begeisterte Sonderpädagogin, Lehrerin und Klettertrainerin für Menschen mit Behinderungen. Sie ist eine Expertin im Bereich der Inklusion und Bildungsgerechtigkeit. Ihr Wissen und ihre praktischen Erfahrungen aus dem Unterrichts- und Schulalltag teilt sie gerne mit anderen, auch in Form von Workshops und Seminaren über ihre Plattform Equal Ed. Neela ist bestrebt so einen positiven Beitrag zur Förderung einer inklusiveren Bildungssystems zu leisten.
Wie finde ich heraus, was meine Schüler*innen brauchen?
Neela Gerken: Das ist im Schulalltag teils gar nicht so einfach. Wir haben als Lehrkräfte so viele Aufgaben, müssen verschiedenen Rollen erfüllen, geplant handeln und reagieren. Um zu erfahren, was meine Schüler*innen brauchen, brauche ich erstmal etwas: Zeit und Gelegenheit.
Um diese zu haben, helfen mir zwei Ansätze: Rituale, gerade im Unterrichtseinstieg und Erhöhung der Selbststeuerung der Schüler*innen. Je selbstständiger diese arbeiten können, umso mehr kann ich mich Einzelnen sowie der Gruppe widmen. So kann ich in den Kontakt gehen, unterstützen und Beziehungen zu den Schüler*innen aufbauen; und so erfahren, was meine Schüler*innen brauchen. Auf beides – Rituale im Unterrichtseinstieg und Selbststeuerung – gehe ich in der Fortbildung natürlich ein und stelle hilfreiche Tools aus meiner Praxis vor.
Wie kann ich meinen Unterricht durch Individualisierung gestalten?
Neela Gerken: Individualisierung ist eine Form der Differenzierung – und eine, die oft den Eindruck vermittelt, sehr aufwändig in der Vorbereitung zu sein. Es kann jedoch sogar das Gegenteil der Fall sein und tatsächlich entlastend sein. Der Schlüssel dazu liegt in der Selbststeuerung der Schüler*innen!
In meiner Fortbildung stelle ich dir Tools und Methoden vor, wie du sogar deinen Lehrervortrag individualisierst, umsetzt und mit wenig Aufwand Aufgaben entwickelst, die Schüler*innen differenziert beantworten.
Und zum Abschluss: Wie kann der richtige Umgang mit Heterogenität im Klassenzimmer den Schulalltag verändern?
Neela Gerken: Ich weiß gar nicht, ob es „den“ richtigen Umgang mit Heterogenität gibt. Allerdings gibt es gute und bessere Arten, mit Heterogenität umzugehen als andere. Heterogenität ist schließlich Alltag unserer Arbeit in der Schule.
Dabei möchte ich mich auch gar nicht nur auf die Schüler*innen beziehen. Auch die verschiedenen Fachkräfte, die an der Schule arbeiten, sind heterogen. Hinzukommt, dass neben Lehrkräften an Schulen ja inzwischen auch oft Erzieher*innen, Logopäd*innen, Ergo- und Physiotherapeut*innen oder Sozialarbeiter*innen arbeiten. Aufgrund der unterschiedlichen Lebensgeschichten und Ausbildungen, die diese Berufsgruppen mitbringen, führen sie auch zu unterschiedlichen Blickwinkeln und erfüllen unterschiedliche Rollen im Schulalltag der Schüler*innen. Mir ist es stets gelungen, die Heterogenität als Geschenk zu erleben.
Schüler*innen können infolgedessen dank des unterschiedlichen Vorwissens, welches sie mitbringen, auf so vielen Ebenen voneinander profitieren. So lernen sie von und miteinander und erleben sich in unterschiedlichen Situationen mal als Expert*innen und mal als diejenigen, die neugierig Fragen stellen. Ein guter Umgang mit den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Schüler*innen – zu dem ich mit meiner Fortbildung einen Beitrag leisten möchte – trägt zu einem lehrreichen, wertschätzenden und friedlichen Schulalltag bei.
Online-Fortbildung:
Umgang mit Heterogenität in Klassenzimmer
In dieser Fortbildung lernst du, durch verschiedene Methoden mit Heterogenität im Klassenzimmer zu arbeiten und umzugehen.