Wie erkläre ich Kindern Rassismus?
Sowohl im privaten als auch im schulischen Kontext ist es wichtig, mit Kindern über Rassismus zu sprechen. Die Verlegerinnen Yvonn Barth und Marie von dem Berge haben einen Leitfaden herausgebracht, der dabei unterstützt, sich mit Kindern aktiv mit Rassismus auseinanderzusetzen. Wir haben mit den beiden über das Thema Rassismus gesprochen und über ihren Leitfaden, der auch einige Tipps für Lehrkräfte bietet.
„Es geht darum Rassismus als System zu begreifen. Als ein System, in dem weiße Menschen privilegiert sind und Personen of Color diskriminiert werden.“
Warum habt ihr den Leitfaden „Wie erkläre ich Kindern Rassismus?“ veröffentlicht?
Yvonn Barth und Marie von dem Berge: Letztes Jahr im Frühjahr 2020 nach dem Mord an George Floyd haben wir uns selbst noch einmal intensiv mit Rassismus auseinandergesetzt. Wir haben dabei gemerkt, wie wenig wir selbst über Rassismus wissen und dass uns die Sprache fehlt, um mit unseren Kindern aktiv über Rassismus zu sprechen. Wir haben verstanden, wie wichtig es ist, dass wir weißen Eltern unsere weißen Kinder von Anfang an für Rassismus sensibilisieren. Damit unsere weißen Kinder möglichst selbst nicht rassistisch handeln und Kinder of Color und natürlich auch erwachsene Personen of Color nicht verletzen.
Bei unserer Recherche, wie man mit Kindern über Rassismus spricht, haben wir selbst kaum deutsche Texte gefunden. Und dann haben wir uns gedacht: Dann werden wir als Verleger*innen eben selbst aktiv. Wir möchten bewusst dazu sagen, wir sind keine Expert*innen für Rassismus, aber wir treten mit unseren Publikationen aktiv für Vielfalt ein.
Was bedeutet für euch Rassismus?
Es geht darum Rassismus als System zu begreifen. Als ein System, in dem weiße Menschen privilegiert sind und Personen of Color diskriminiert werden. Wichtig ist hierbei zu verstehen, dass es nicht allen weißen Menschen in unserer Gesellschaft extrem gut geht, aber sie werden eben auch nicht systematisch auf individueller, struktureller und soziokultureller Ebene unterdrückt.
Wir sind Yvonn Barth und Marie von dem Berge, die Gründerinnen von »Familiar Faces«. Familiar Faces möchte jedem Kind, jedem Erwachsenen und jeder Familie in seiner bzw. ihrer Vielfalt ein positives Selbstbild vermitteln. Wir laden zu neuen Narrativen ein und zum gemeinsamen Lernen. Mit renommierten Illustrator*innen und Autor*innen entwickeln wir in unserem Verlags-Start-up schön gestaltete personalisierbare Bücher, Poster und Kalender und haben mit dem Leitfaden „Wie erkläre ich Kindern Rassismus?“ eine Buchreihe gestartet, die aktuelle Diskurse anschaulich vermittelt und zum gemeinsamen Austausch mit Kindern und Jugendlichen anregt. And more to come :-)
Foto: Carolin Weinkopf
„Schule muss das Ziel haben, Kindern of Color genauso wie weißen Kindern ein möglichst diskriminierungsfreies Umfeld zu bieten und allen Kindern ein positives Selbstbild zu vermitteln.“
Warum ist es eurer Meinung nach wichtig, dass Lehrer*innen sich selbst aktiv mit Rassismus auseinandersetzen?
In der eigenen Auseinandersetzung mit Rassismus und der Lektüre von Büchern wie „Exit Racism“ von Tupoka Ogette oder „Was weiße Menschen über Rassismus nicht hören wollen aber wissen sollten“ von Alice Hasters, haben wir uns anschließend gefragt: Warum haben wir über strukturellen Rassismus und dessen Ursprünge nicht bereits in der Schule gelernt? Warum hat es bei uns 40 Jahre gedauert, bis wir selbst Rassismus als System verstanden haben und uns unserer weißen Privilegien bewusst geworden sind?
Wir wünschen uns für unsere Kinder, dass sie von uns Eltern, aber auch von anderen Vorbildern wie ihren Lehrer*innen von Anfang an für Rassismus sensibilisiert werden. Nur so lässt sich Rassismus in unserer Gesellschaft bekämpfen. Und Lehrer*innen können selbst erst antirassistisch handeln und unterrichten, wenn sie sich aktiv mit Rassismus auseinandergesetzt haben, ihre eigene Position gefunden und Unsicherheiten abgebaut haben. Die meisten Weißen stehen mit dieser Auseinandersetzung in Deutschland noch ganz am Anfang.
Warum ist es wichtig, Rassismus proaktiv im Unterricht zu behandeln?
Rassismus ist ein System, dass wir nur aktiv gemeinsam aufbrechen können. Wenn Rassismus von der Grundschule bis zur weiterführenden Schule in seiner Komplexität behandelt wird, kann dies unserer Ansicht nach, einen großen Beitrag dazu leisten Rassismus in seinen Ausprägungen sichtbar zu machen und letztendlich dagegen vorzugehen.
Die Schüler*innenschaft ist vielfältig. Die Lehrer*innenschaft auch, aber aus unseren Erfahrungen meistens noch nicht so vielfältig wie die Schüler*innenschaft. Aber auch das wird sich ändern.
Schule muss das Ziel haben, Kindern of Color genauso wie weißen Kindern ein möglichst diskriminierungsfreies Umfeld zu bieten und allen Kindern ein positives Selbstbild zu vermitteln. Die Aufklärung über Rassismus bildet hierfür eine wichtige Basis.
Die eigene Sprache überprüfen und das eigene Denken hinterfragen
Wie kann ich rassismussensibel unterrichten?
Wir sind selbst keine Lehrer*innen, aber wenn wir an unsere eigene Schulzeit zurückdenken oder in die Schulbücher unserer Kinder schauen, gibt es viele Ansatzpunkte, die jede*r Lehrer*in sofort im Schulalltag umsetzen kann. Unserer Ansicht nach ist es zunächst für alle Lehrer*innen wichtig, die eigene Sprache zu überprüfen und das eigene Denken zu hinterfragen: Wo bediene ich selbst unbewusst Rassismen? Welche Vorurteile habe ich z.B. gegenüber Menschen of Color? Und wenn ich Vorurteile erkannt habe, was verändere ich in meinem Handeln, um diese aktiv zu verlernen?
Dies sind einige Beispiele, für unterschiedliche Altersstufen, die uns spontan einfallen:
In der Grundschule:
- In allen Fächern Arbeitsblätter, Bücher und Inhalte bereitstellen, die Schüler*innen selbstverständlich in ihrer Vielfalt repräsentieren.
- Das Wort „hautfarben“ nicht mehr benutzen, um die Hautfarben weißer Menschen zu benennen, da dies diskriminierend gegenüber allen Menschen of Color ist. Das von uns allen gelernte Wort „hautfarben“ kann einfach durch „beige“ ersetzt werden.
- Kinder für die Vielfalt der Hautfarben sensibilisieren.
- Rassismen und Vorurteile (auch in Schulbüchern) erkennen und offen benennen und richtigstellen. Zum Beispiel mit Grundschulkindern darüber sprechen, warum das I-Wort und die Abbildung indigener Menschen in Schulbüchern diskriminierend ist und ihnen dabei die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der indigenen Völker Nordamerikas vermitteln. In diesem Zusammenhang kann z.B. auch das Buch „Als wir allein waren“ von David A. Robertson gelesen werden.
- Und es kann auch bereits damit begonnen werden, die Geschichte des Rassismus und die damit verbundenen Ungerechtigkeiten in der Grundschule zu vermitteln – z.B. durch das Vorstellen von Vorbildern of Color, die sich von Klein auf gegen Rassismus oder Diskriminierung zur Wehr gesetzt haben: z.B. Rosa Parks, Martin Luther King, Maya Angelou, Harriet Tubman, Mahatma Gandhi oder auch Malala Yousafzai.
In der weiterführenden Schule:
- Strukturelle Unterdrückung und Rassismus systematisch behandeln und die Kolonialgeschichte Deutschlands aufarbeiten (auch wenn das Thema in Geschichtsbüchern nicht oder nur kurz vorkommt).
- Rassismus und Begriffe des aktuellen Diskurses erläutern, wie z.B. Mikroaggression, Othering, White Privilege.
- Bücher lesen, die Rassismus behandeln wie z.B. „Das Buch vom Antirassismus“ von Tiffany Jewell, „The Hate U Give“ von Angie Thomas, „Dear Martin“ von Nick Stone, „Patina. Was ich liebe und was ich hasse“ von Jason Reynolds und „Wie du mich siehst“ von Tahereh Mafi.
- Zeitgenössische Beispiele von Rassismus besprechen: die NSU-Morde, Pegida, Halle 2019, Hanau 2020, NSU 2.0. Und auch über Muslimfeindlichkeit und modernen Antisemtismus in unserer Gesellschaft sprechen.
- Schüler*innen die Aufgabe geben, antirassistische Instagram-Accounts vorzustellen, z.B. @ms_blackrock, @datteltaeter, @erklaermirmal, @saymyname_bpd, @woherkommstduwirklich und @wasihrnichtseht.
Weitere Hinweise, Ideen und weiterführende Quellen finden sich auch in unserem Buch „Wie erkläre ich Kindern Rassismus?“. Der Inhalt ist auch für alle auf unserer Website frei zugänglich. Außerdem kann das Buch auch über unsere Website und im ausgewählten Handel erworben werden.
Wie kann ich mich selbst noch besser über Rassismus informieren?
Jede*r kann bei sich selbst anfangen und sich z.B. mit den folgenden Büchern mit Rassismus auseinandersetzen:
- „Exit Racism“ von Tupkoa Ogette
- „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ von Alice Masters
- „Der weiße Fleck: eine Anleitung zu antirassistischem Denken“ von Mohamed Amhjahid
- „Why we matter. Das Ende der Unterdrückung“ von Emilia Roig
- „Sprache und Sein“ von Kübra Gümüşay
- „Desintegriert euch“ von Max Czollek
- „Eure Heimat ist unser Albtraum“ von Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah (Hrsg.)
Und es lohnt sich auch den Instagram-Accounts dieser Autor*innen zu folgen.
Einen ersten Einstieg in das Thema Rassismus bietet auch unser Buch „Wie erkläre ich Kindern Rassismus?“.
Lehrer*innen können natürlich auch anregen, an der eigenen Schule Trainings für das gesamte Kollegium durchzuführen, um gemeinsam rassismuskritisch denken, sprechen und handeln zu lernen. Diese Trainings werden z.B. von Tupoka Ogette angeboten oder auch vom Institut für diskriminierungsfreie Bildung.
Illustrationen: Le Hong