Lehren und Lernen, CC-BY Martin Grobauer
Zeitgemäßer Unterricht: „Hybrides Lernen ist eigentlich eine Bereicherung für den Lernprozess“
Für Tanja Kräwinkel gehört zum zeitgemäßen Unterricht auch das hybride Lernen. In ihrem neuen Buch „Ein Leitfaden für den zeitgemäßen Unterricht“ zeigt sie, wie hybrides Lernen mit der Lernplattform Moodle umsetzbar ist. Im Interview erzählt sie, was ihr an hybriden Lernsettings besonders wichtig ist, wie diese im Unterricht aufgebaut werden können und was damit alles gefördert werden kann.
Ein roter Faden durch alle Phasen des Lernens
Hybrides Lernen, Blended Learning, integriertes Lernen – so viele Begriffe, die alle die Verbindung zwischen Präsenzunterricht und virtuellem Lernen beschreiben. Was ist dir bei diesen Lernsettings am wichtigsten?
Tanja Kräwinkel: Präsenz- und Distanzunterricht sollten nicht getrennt voneinander betrachtet werden. Vielmehr muss ein roter Faden, eine Struktur für die Lernenden bei einem Wechsel der Phasen vorhanden sein, um ihren eigenen Lernprozess gestalten und reflektieren zu können.
Darüber hinaus ist mir das selbstgesteuerte Lernen sehr wichtig, welches für mich die Basis für einen erfolgreichen Lernprozess bildet. Beim selbstgesteuerten Lernen lenken die Lernenden ihren Lernprozess im Wesentlichen selbst- und eigenständig. Die SuS sind in der Lage, ihren eigenen Lernprozess auf der Metaebene zu betrachten und zu reflektieren. Die Lehrkraft nimmt dabei die Rolle des Lernbegleiters ein, die SuS übernehmen eine aktive Steuerung ihres Lernprozesses.
Vor- und Nachteile hybriden Lernens
Du nutzt als Lehrerin am Berufskolleg schon seit mehreren Jahren verschiedene digitale Tools in deinem Unterricht. Was hat hybrides Lernen für Vorteile? Und gibt es auch Nachteile?
Der Einsatz von digitalen Tools erweitert zunächst einmal meinen analogen “Werkzeugkasten”, den ich für die Gestaltung meines Unterrichts zur Verfügung habe. So können beispielsweise Kartenabfragen analog oder digital gemacht werden. In diesem Fall ersetze ich zunächst ein analoges gegen ein digitales Tool.
Die Vorteile dabei sind, dass ich die Kartenabfrage speichern, clustern, Tippfehler korrigieren und Kartenfarben ändern kann. Digitale Tools ermöglichen aber noch viel mehr. Sie ermöglichen z.B. das kollaborative Arbeiten – auch im Distanzunterricht. Hybrides Lernen ist eigentliche eine Bereicherung für den Lernprozess, wie z.B. das Konzept des Flipped Classroom, bei dem ich den Lernenden für zuhause die Aufgabe gebe, sich in das Thema einzuarbeiten, z.B. mit einem interaktiven Video. Im Unterricht werden dann Aufgaben zu dem Thema bearbeitet und die Lehrkraft steht für Fragen und Hilfen zur Verfügung.
Die Nachteile liegen in der Länge der Distanzphasen. Je länger eine Distanzphase dauert, umso schwieriger wird es, Schüler*innen zu motivieren sowie die Inhalte so zu konzipieren, dass sie eigenständig alleine oder in Gruppen erarbeitet werden können. Schwierig ist hybrides Lernen auch, wenn die technische Ausstattung bei den Schüler*innen fehlt. Das ist leider im Moment noch sehr oft der Fall.
„Für mich bedeutet zeitgemäßer Unterricht, dass ich Kollaboration, Kommunikation, Kreativität und kritisches Denken fördere“
Du hast ja gerade ein neues Buch geschrieben, in dem es auch um hybride Lernformen geht. Worum geht es da genau?
In meinem Buch „Ein Leitfaden für den zeitgemäßen Unterricht“ beschreibe ich Möglichkeiten, wie hybrides Lernen mit dem Lernmanagementsystem moodle (in NRW heißt es Logineo NRW LMS) gestaltet werden kann. Dabei zeige ich viele Beispiele aus meiner Unterrichtspraxis. Zusätzlich gibt es zahlreiche Erklärvideos, die mit dem Buch verlinkt sind. Das selbstgesteuerte Lernen bildet auch hier eine Grundlage. Ich erkläre Strukturierungs- und Kommunikationsmöglichkeiten und beschreibe, wie der Lernprozess der Schüler*innen begleitet werden kann. Darüber hinaus geht es natürlich auch darum, wie Inhalte aufbereitet und z.B. auch Lernpfade erstellt werden können. Das Buch gibt es als kostenlosen Download, kann aber auch als Print bestellt werden.
Was bedeutet für dich zeitgemäßer Unterricht und was gehört alles dazu?
Für mich bedeutet zeitgemäßer Unterricht, dass ich versuche die 4 Kompetenzbereiche (4K) Kollaboration, Kommunikation, Kreativität und kritisches Denken zu fördern. Das bedeutet, dass ich bei meiner Unterrichtsplanung immer wieder überlege, wie ich diese Kompetenzen fördern kann. Beispielsweise können Schüler*innen kollaborativ in einem Padlet Inhalte erarbeiten. Ich nutze auch sehr gerne das Forum in moodle für Diskussionen und Situationsanalysen.
Meine Auszubildenden müssen z.B. regelmäßig ihren Ausbildungsbetrieb bezüglich der behandelten Themen analysieren und dazu im Forum einen Beitrag schreiben. Generell möchte ich aber auch mehr Lernbegleiterin als Lehrerin sein. Ich bin diesbezüglich auf einem Weg, lerne aber täglich wieder neu dazu.
Warum ist moodle deiner Meinung nach ein so gutes digitales Tool dafür? Und wer kann es alles nutzen?
Theoretisch kann jeder moodle nutzen, da es eine open-source Software ist. Die Schulen können ein eigenes System aufsetzen oder es von einem externen Anbieter hosten lassen. Einige Bundesländern wie z.B. NRW (Logineo NRW LMS) oder Bayern (Mebis) bieten den Schulen einen kostenlosen Zugang an.
Moodle ist so gut für hybrides Lernen geeignet, weil dort Lerninhalte strukturiert aufbereitet werden können, die Schüler-Lehrer-Beziehung mit unterschiedlichen Kommunikationsmöglichkeiten gepflegt werden kann und die 4K gefördert werden können. Interaktive Übungen, wie z.B. mit h5p oder kollaborative Elemente wie Wikis können ganz einfach in moodle erstellt werden. Zusätzlich können Lernpfade entwickelt werden. Zu dem Thema Lernpfade gibt es demnächst bei Fobizz eine neue Fortbildung von mir.
Tanja Kräwinkel ist Lehrerin an einem kaufmännischen Berufskolleg in Herne und setzt moodle seit vielen Jahren im Unterricht ein. An ihrer Schule administriert sie die Schul-Instanz. Sie arbeitet seit vielen Jahren in der Lehrerfortbildung und moderiert in dieser Funktion moodle-Fortbildungen in Präsenz und in Distanz. Neben moodle setzt sie auch viele weitere digitale Tools im Unterricht ein.
Habt Mut: Mein Motto ist immer: “Einfach machen”
Wie kann in hybriden Lernsettings das selbstgesteuerte Lernen unterstützt und gefördert werden?
In hybriden Lernsettings ist die Struktur, der rote Faden, sehr wichtig. Dies kann z.B. mit To-Do-Listen, Kann-Listen, Wochenpläne etc. erfolgen. Die Schüler*innen müssen eine Verbindung der Lerninhalte erkennen und sie nicht als Aneinanderreihung irgendwelcher Aufgaben verstehen. Selbstgesteuertes Lernen bedeutet auch nicht “allein gelassen zu werden”. Daher muss der Lernprozess begleitet werden, wie z.B. mit Feedback oder direkter Kommunikation über verschiedene Kanäle.
Selbstgesteuertes Lernen bedeutet auch, den Lernenden verschieden Möglichkeiten des Lernweges zu ermöglichen. Mit Lernpfaden können beispielsweise leistungsbezogene Verzweigungen eingebaut werden. Auf diese Weise können sowohl schwächere als auch stärkere Schüler*innen gefördert werden.
Die Reflexion des Lernprozesses ist auch sehr wichtig. Mit einem Lerntagebuch in moodle kann dies sehr gut umgesetzt werden.
Durch den digitalen Fernunterricht, sind ja mittlerweile alle Lehrkräfte mit hybriden Lernformen in Berührung gekommen. Hast du abschließend noch Tipps für deine Kolleg*innen und ihren Unterricht?
Vielleicht zunächst einmal: “Haltet durch!”. Wir Lehrkräfte sind im Moment wirklich stark belastet und fühlen uns oft allein gelassen. Zusätzlich möchte ich Mut machen, zum Teil loszulassen und neue Wege zu gehen. Mein Motto ist immer: “Einfach machen”. Ich habe immer neue Sachen ausprobiert und meinen Schüler*innen immer dazu gesagt: “Ich habe eine tolle Idee und wir testen das jetzt gemeinsam aus.” Zuletzt habe ich das im Dezember in der ersten Lockdown-Woche gesagt, als es darum ging, in moodle eine digitale Prüfung zu entwickeln. Das ist sehr gut gelaufen. Das Beispiel steht auch in meinem Buch (Digitale Klausuralternative, S. 69) und ist demnächst auch mit entsprechenden Materialien zu finden.
Online-Fortbildung:
Lernplattform moodle – Grundlagen für den Unterricht
Mit dem Lernmanagementsystem moodle kannst du deinen Präsenz-, Distanz- und Hybridunterricht gestalten. In dieser Online-Fortbildung lernst du die wichtigsten Grundelemente von moodle kennen und erstellst deinen eigenen moodle-Kurs.