Warum gute Schulentwicklung agil und nachhaltig sein kann
Wir starten heute mit einer Gruppe Schulleitungsteams aus 13 verschiedenen Bundesländern auf eine sechswöchige Innovationsreise! Ihre Schulentwicklungsvorhaben werden mithilfe des Design Thinkings und anderer agiler Methoden entwickelt.
In diesem Interview erklären Berit Moßbrugger und Till Jaspert vom innovationhub.schule, was gute Schulentwicklung für sie ausmacht und wieso sich Design Thinking für die Schulentwicklung eignet.
Liebe Berit, lieber Till, ihr gestaltet zusammen mit fobizz die Zusatzqualifikationen “Nachhaltige Innovation durch agile Schulentwicklung”. Was macht für euch gute Schulentwicklung aus?
Till: Ui, „gute“ Schulentwicklung, direkt eine toughe Frage zu Beginn. Okay, gehen wir es an.
Zwei Dinge, die uns spontan als grundsätzlich – in der Realität dennoch als nicht selbstverständlich – erscheinen:
Wenn sich etwas proaktiv und bewusst entwickelt, sich etwas positiv verändert, ist das ja per se schon „gut“. Schulgemeinschaften leiden vor allem an Prozessen, die keine Veränderung bewirken, in denen nur gesprochen wird. „Gute“ Schulentwicklung verändert sichtbar, bewirkt etwas, sie macht einen relevanten Unterschied.
Wenn ich mich – völlig egal, ob ich Kolleg*in, Schüler*in oder Elternteil bin – an Prozessen beteiligt fühle, das „warum“ verstehe, erkenne, dass und wie ich einen Beitrag leisten kann, und mich sicher fühle, mein Empfinden, meine Eindrücke und meine Ideen wirklich ehrlich mitteilen kann. „Gute“ Schulentwicklung ist transparent und vermeidet so Gemunkel, implizite (!) Erwartungen oder Befürchtungen. So kommen alle Beteiligten „sicher“ aus der Komfortzone in die Wachstumszone.
Die Kür?
„Gute“ Schulentwicklung macht Spaß! Wie der Spaß jetzt genau aussieht und sich ausspielt, dafür gibt es so viele Zutaten und Rezepte wie es Schulen gibt. Wichtig ist hinzuschauen: haben wir (genug) Spaß?
Kurzum: Gute Schulentwicklung vermittelt den Beteiligten Sinn und die Möglichkeit, sich wirksam zu fühlen – und das wirkt direkt auf unsere eigene Resilienz. Schulentwicklung taucht oft in einem Atemzug mit „mehr Arbeit“ auf. Und na klar, beim Blick auf die Uhr wird man feststellen, das man mit Schulentwicklung Zeit verbringt. Gute Schulentwicklung macht diese Zeit wertvoll und gibt Energie an die zurück, die sich an ihr beteiligen. Und was gibt es besseres, als gemeinsam erzeugte positive Veränderung unserer Realität?
„Gute“ Schulentwicklung ist transparent und vermeidet so Gemunkel, implizite (!) Erwartungen oder Befürchtungen. So kommen alle Beteiligten „sicher“ aus der Komfortzone in die Wachstumszone.
Till Jaspert – Als Partner in Beratungsunternehmen wie Oliver Wyman, Roland Berger u.a. habe ich über 20 Jahre Unternehmen und Zivilgesellschaft in ihrem Innovationsmanagement begleitet: mit agilen, menschen-zentrierten Methoden, insbesondere Design Thinking. Als Gründer von Innova Partners und Dozent für Innovationsmanagement an INSEAD, EADA, IED u.a. bringe ich diese Methoden seit 10 Jahren angepasst für den Bildungsbereich in Ausbildung und Begleitung von Schulteams und in Lernerfahrungen junger Menschen zum Einsatz. All diese Erfahrung fließt heute in die Tools des innovationhub.schule ein, um die gestalterische Handlungsfähigkeit von Schulentwicklungsteams zu stärken: Akteure, auf die es ankommt!
Bei dem Titel eurer Zusatzqualifikation fallen mir die Begriffe “nachhaltig” und “agil” auf! Warum ist euch das wichtig?
Berit: Spannend! Wir haben den Titel mit einigen „Testpersonen“ geteilt und wurden sogar schon gefragt, ob sich genau diese beiden Aspekte nicht sogar widersprechen: agil UND nachhaltig, wie geht das zusammen?
Wir haben in unseren Biografien diese beiden Elemente als zwei Seiten einer Medaille erlebt. Agil heißt (u.a.) für uns: sich einlassen, auf das was ist, auf die beteiligten Menschen, was sie umtreibt, was sie benötigen und wovon sie träumen. Einlassen auf den Kontext: was zum aktuellen Zeitpunkt notwendig UND leistbar ist. Einlassen auf Umwege. Positive Veränderungen, die auf diese Art entstehen, sind authentische Lösungen der Gemeinschaft vor Ort. Sie werden von den Beteiligten getragen, sie empfinden „Ownership“ dafür. Und das macht ihre Wirkung nachhaltig – dass mit dem Erreichen eines Meilensteins eben nicht plötzlich Schluss ist, sondern langfristig weiter gestaltet wird – von vielen.
Zur Zusatzqualifikation:
Berit Moßbrugger – Unternehmen zu begleiten, die digitale Transformation als Chance zu erleben, für die eigenen Leistungen wirksam zu nutzen und Organisationen in der Digitalität neu zu denken und zu gestalten, hat meinen Blick für Gelingensfaktoren geschärft. Als Geschäftsführung von kursfinder.de lag mir deshalb die Zugänglichkeit innovativer Führungskräfte- und Personalentwicklungskonzepte am Herzen. In der Heraeus Bildungsstiftung in Hanau konnte ich – ab 2019 verantwortlich für Innovation – die Fäden zusammenbinden und die Entwicklung des innovationhub.schule initiieren. Der Hub macht Antworten auf die Frage “wie Innovation in Schule gelingen kann” nutz- und anwendbar.
Die Zusatzqualifikation dauert sechs Wochen. Könnt ihr bitte kurz zusammenfassen, was die Teilnehmenden erwartet?
Berit: Sehr gerne – denn wir können den Start selbst kaum abwarten ;-).
Die Teilnehmenden werden in 6 Wochen einen agilen Innovationsprozess mit seinen fünf Phasen nicht nur kennenlernen, sondern auch ausprobieren und die dazugehörigen „Innovator’s Mindsets“ selbst erfahren und erleben. Damit entwickeln sie eine Vorstellung davon, wie ihr ganz persönliches, individuelles Anliegen in ihrer Schule angegangen werden könnte. Schritt für Schritt entsteht eine „Route“ für die eigene Innovationsreise, ein Verständnis vom agilen „Reisegepäck“ und eine Idee des Teams für die ersten Schritte.
Und weil das Alleinereisen nur halb so schön ist, verstehen sich die Teilnehmenden als „Travelbuddies“ und gehen einige der praktischen Erfahrungen und Reflexionen im Tandem an.
Das Ziel? Teilnehmende fühlen sich handlungsfähig, Vorhaben, Ideen, Herausforderungen wirksam anzugehen, die bisher oft viel zu komplex erschienen (um im Bild der Reise zu bleiben: der Berg zu hoch, zu steil, zu gefährlich oder das ersehnte Reiseziel angesichts knapper Ressourcen viel zu weit weg).
„Das Ziel? Teilnehmende fühlen sich handlungsfähig, Vorhaben, Ideen, Herausforderungen wirksam anzugehen, die bisher oft viel zu komplex erschienen“
Warum eignet sich die Methoden Design Thinking eurer Meinung nach so gut für die Schulentwicklung?
Till: Design Thinking verstehen wir als eine „soziale Technik“. Was heißt das genau?
In uns allen regen sich ganz natürliche – menschliche – Tendenzen, wenn wir komplexen Situationen und Veränderungen ausgesetzt sind. Einige dieser Reaktionen sind für Innovation in der Tat kontraproduktiv. Ein Beispiel? Das Digi-Team an einer weiterführenden Schule ist überzeugt, dass eine 1:1-Tablet-Ausstattung für Schüler*innen schlicht und ergreifend zeitgemäß ist. Glücklicherweise hat sich eine Finanzierungsquelle aufgetan und so wird die Entscheidungsvorlage in der Gesamtkonferenz präsentiert. Zwar wird die Anschaffung beschlossen, um die Finanzierungschance nicht zu vertun, dennoch hat sich ein beachtlicher Anteil der Lehrkräfte gegen eine verbindliche Nutzung ausgesprochen. Das motivierte Team fühlt sich wenig bestärkt und nun gehemmt, das Projekt auszurollen. Alles dreht sich plötzlich um das Widerlegen der – teils laut – geäußerten Einwände. Die Schulgemeinschaft beginnt, sich an ihnen zu orientieren und versinkt im „für und wider“, aus dem es scheinbar keinen Ausweg gibt.
Design Thinking lädt uns dazu ein, eine Gestaltungsaufgabe in den Mittelpunkt zu stellen (daher kommt der Begriff „Design-Challenge“). Diese ist oft eine konkrete Herausforderung, ein Problem oder auch eine Vision, die aktuelle Relevanz erfährt. So würde das Digi-Team aus unserem Beispiel vielleicht formulieren „Wie können wir Schüler*innen fit machen für eigenverantwortliches Handeln in der Digitalität?“ und zur Lösungsfindung alle beteiligen. Mehrere Ideen kommen auf, die ausprobiert werden wollen – wofür dem Kollegium die Chance auf Finanzierung einer 1:1-Ausstattung sehr gelegen kommt. Jetzt steht das Ausprobieren im Vordergrund und das Beobachten der Wirkung auf Schüler*innen.
Das Beispiel zeigt (zugegeben, vereinfacht ;-)), wie Design Thinking praktische Werkzeuge mit Einsichten in unsere menschliche Natur verbindet. Damit hilft die Methode Schulgemeinschaften, die das Lernen und Lehren innovativ verändern möchten, Menschen zu beteiligen und gleichzeitig kontraproduktive Tendenzen zu vermeiden.
Die Zusatzqualifikation startet am 13. September. Auf was freut ihr euch am meisten?
Berit: Ich brenne darauf, die Vorhaben der Teilnehmenden kennenzulernen und die ganz persönlichen Motivationen, die sie dazu umtreiben. Das gibt uns – und der ganzen „Reisegruppe“ – so viel Energie.
Till: Wunderschön sind die Momente, in denen wir die Teilnehmenden förmlich mit den Hufen scharren hören können, wenn sie sich – ihre eigene, individuelle Innovationsreise schon vor Augen – als handlungsfähig erleben und endlich loslegen wollen.