Verena Pausder:
„Digitale Bildung und Medienkompetenz sind keine fixen Ideen von ein paar Start-up-Hipstern“
In ihrem Buch „Das Neue Land“ liefert Verena Pausder konkrete Ideen für ein zukunftsfähiges Land. Der Grundpfeiler: Digitale Bildung. Dafür fordert Pausder unter anderem E-Mail-Adressen für alle Lehrkräfte, Nachhilfe in Zukunftskompetenzen und die Qualifizierung von Lehrkräften als Lerncoaches.
„Stellen Sie sich vor, wir hätten vor Corona vorgeschlagen, Homeschooling einzuführen, als Versuch, als Experiment, und das über mehrere Wochen oder gar Monate“, mit diesem Gedankenspiel leitet Verena Pausder das erste Kapitel ihres Buches „Das Neue Land“ ein.
Pausders nüchterne Erkenntnis: Wir hätten das Experiment Homeschooling ohne Pandemie nicht gewagt und viele Gründe gefunden und diskutiert, warum es nur scheitern kann. „Es hätte Debatten und Diskussionen gegeben, wie das gehen soll, was Schüler*innen können müssen, wie Eltern das leisten sollen, wie Lehrer*innen sich darauf vorbereiten können, wer das organisiert, wie das technisch machbar ist“, schreibt Pausder.
Die Coronavirus-Pandemie ließ der Bildung aber keine Wahl. Und so wurde mit weniger als einer Woche Vorbereitungszeit das digitale Lernen quasi über Nacht Realität. Ohne die Pandemie beschönigen zu wollen, stellt Pausder fest: „Corona war die effektivste, flächendeckendste Fortbildungsmaßnahme, die unser Schulsystem je erlebt hat – vor allem beim Thema Digitalisierung.“
Verena Pausder ist Expertin für digitale Bildung sowie Gründerin von Fox & Sheep und der HABA Digitalwerkstätten. Sie möchte chancengleichen Zugang zu digitaler Bildung ermöglichen und hat den Digitale Bildung für Alle e.V. gegründet. Zu Beginn der Corona-Krise stellte sie die Plattform homeschooling-corona.com online und organisierte den größten Bildungshackathon Deutschlands #wirfürschule.
Schöne neue Bildungswelt
In ihrem ersten Sachbuch beschreibt Pausder, wie sie die Bildungslandschaft reformieren möchte, nimmt aber auch Politik und Wirtschaft in die Pflicht. Unermüdlich führt sie aus, wie sie die Träumereien und den Stillstand beenden und „die Alte Welt“, die festgefahrenen Strukturen, umgestalten möchte. Auf 200 Seiten schreibt sie – spricht sie viel mehr, denn das Buch ist in Form einer Rede verfasst – darüber, wie sie Deutschland aus dem Dämmerschlaf wachrütteln möchte. Dabei müsse man mit dem Fundament des Landes – der Bildung – anfangen.
In Pausders neuem Bildungsland ist das Curriculum entschlackt, der Unterricht projektbasiert und fächerübergreifend. Lehrer*innen werden zu Lernbegleiter*innen und können zwischen analogem und digitalem Unterricht wechseln. Sie schreibt von Podcasts über die Weimarer Republik im Fach Geschichte, E-Books über Ozeane im Sachunterricht und Stop-Motion-Filmen im Englischunterricht.
„Warum sehen wir Coding nicht als das Latein der Zukunft?“
Statt Latein sollte Programmieren in Pausders neuer Welt einen höheren Stellenwert im Schulalltag einnehmen. Nicht jede*r müsse Programmierer*in werden, aber Coding bringe wichtige Zukunftskompetenzen bei: Problemlösekompetenz, Fehlerkultur, Teamfähigkeit und Entscheidungsfreudigkeit. „Programmieren ist auch ein gemeinschaftliches Einfach-mal-Ausprobieren“, schreibt Pausder.
Und genauso eine mutige Haltung wünscht sich Pausder für die Zukunft – das wird in ihrem gesamten Buch deutlich: Wagen, bevor man urteilt; ausprobieren, bevor man schlechtredet; machen statt meckern.
Bildung – Das Fundament des Neuen Landes
In Pausders Neuem Land sollen digitale Geräte selbstverständlich im Unterricht eingebunden werden. „Nicht als Spielerei oder weil Digitalisierung in aller Munde ist, sondern weil es unser Anspruch an das Bildungssystem sein muss, Kinder zu mündigen Bürger*innen der Zukunft auszubilden.“ Dazu gehöre der Umgang mit digitalen Geräten, Inhalten, Tools und Kompetenzen.
„Digitale Bildung und Medienkompetenz sind keine fixen Ideen von ein paar Start-up-Hipstern, sondern das Fundament des Neuen Landes.“
Und auch im Hybridunterricht, im mobilen, zeit- und ortsunabhängigen Lernen sieht Pausder eine Chance, die die Bildung beflügeln kann. Die große Bedeutung des sozialen Miteinanders und Austauschs in der Schule lässt sie dabei keineswegs außer Acht. „Kein Roboter der Welt wird jemals Lehrer*innen ersetzen können“, so Pausder.
Verena Pausder: Das Neue Land – Wie es jetzt weitergeht, Murmann, Hamburg 2020, 200 Seiten, 20 Euro
Handy raus – die Zukunft ruft an
Die Corona-Krise habe aber auch gezeigt: Es gibt noch viel zu tun für die digitale Bildung. Die Infrastruktur ist oft nicht gegeben. Pausders Lösung ist eine Allianz aus Systemadministrator*innen: Unternehmen einer gewissen Größe sollen ihre Systemadministrator*innen freiwillig für einen Tag im Monat an eine Schule in der Umgebung entsenden. Damit soll der Digitalpakt effektiv umgesetzt und alle Schulen mit WLAN und Geräten ausgestattet werden.
Auch Eltern müssten an ihren Digitalkompetenzen feilen, denn sie können aktuell noch keinen WordPress-Blog erstellen, kein Video schneiden oder einen Podcast hochladen. „Dann lassen wir uns doch, im Sinne eines Lifelong Learning gemeinsam mit – oder von unseren Kindern – fortbilden“, so Pausder.
Dafür schlägt sie eine „Zukunftsstunde“ vor: Familien sollen sich eine Stunde in der Woche zusammensetzen und ausprobieren, was in den Geräten, ihren Smartphones und Laptops steckt. Sie entdecken so gemeinsam neue Programme und Tools, etwa Stop-Motion-Filme, digitale Spiele oder das Programmieren mit Scratch.
Konkrete Ideen für das Neue Land
So wie für die Bildung liefert Pausders Buch weitere konkrete Ideen für das Neue Land: Die Politik müsse durchlässiger werden und Austausch zwischen Disziplinen fördern. Für die Gleichberechtigung braucht es laut Pausder eine Frauenquote von unten, die schon in der Schule und Ausbildung greift. Im Bereich Unternehmertum denkt Pausder an eine neue Unternehmensform, die sogenannte „nGmbH“ – eine GmbH, die konkrete Nachhaltigkeitskriterien erfüllen soll. Außerdem solle das unternehmerische Denken und Handeln laut Pausder schon in der Schulzeit gefördert werden.
Pausder will in einem Land leben, in dem E-Mail-Adressen für alle Lehrkräfte existieren, das Wahlalter auf 16 Jahre herabgesenkt wird und Chancengleichheit gegeben ist. Sie fordert ein Digitalministerium und Investitionen in Innovationen. Bei all ihren Verbesserungsvorschlägen ist Pausder nicht wütend oder frustriert, sie meckert nicht – sondern ist hoffnungsvoll und klar in ihren Vorstellungen.
Sie nimmt Bildung, Politik und Unternehmertum gleichermaßen in die Pflicht – und schließlich jede*n Einzelne*n von uns. Nüchtern und mit einfachen, konkreten Beispielen beschreibt sie, was ist – und entwirft die Landkarte eines Neuen Landes. Und das ist nichts, das wir aussitzen oder verschlafen können, denn: „Das Neue Land ist längst da.“
Online-Fortbildung:
Digitale Werkzeuge für den Unterricht
Digitale Tools sind Helfer für den Unterricht, motivieren Schülerinnen und Schüler zur Kollaboration und ermöglichen interaktive Lerneinheiten – am Computer oder mit dem Tablet oder Smartphone. In der Fortbildung Digitale Werkzeuge für den Unterricht lernst du neun Werkzeuge kennen, kannst sie direkt ausprobieren und erhältst Ideen für den Einsatz im Unterricht.