Digitales Spielzimmer: Bild eines Bildschirms aus dem Digitalen Spielzimmer. Es ist ein Bildbearbeitungsprogramme zu sehen

Joachim Maiß

Eine Schule macht’s vor: Digitales Spielzimmer für kreatives Lernen

Joachim Maiß denkt Schule neu – und dabei vor allem digital. Er hat an seiner Berufsschule ein Digitales Spielzimmer eingerichtet – für die Fortbildung von Lehrkräften und Schüler*innen. Im Interview erklärt er fobizz, was hinter dieser Idee steckt und warum es bei der Digitalisierung von Schulen auch um die Zukunft unseres Landes geht.

fobizz: Lieber Herr Maiß, sie sind seit fast 20 Jahren Schulleiter an der Multi Media Berufsbildenden Schule (MMBBS) in Hannover. Wie sieht denn der Unterricht an Ihrer Schule aus, legen sie Wert auf die Einbindung von digitalen Werkzeugen?

Joachim Maiß: Die MMBBS hat das Prinzip für BYOD („Bring your own device“ – deutsch: „Bring dein eigenes Gerät“) für alle Lehrkräfte und alle Schülerinnen und Schüler flächendeckend umgesetzt. Die Schule verfügt über eine schnelle Anbindung ins Internet und über ein flächendeckendes WLAN. Eine eigene Public Private Cloud stellt allen Benutzer*innen die Schulressourcen, darunter einen Moodle Server, Adobe CC, Office365, und z.B. einen LinkedIn Learning Account zur Verfügung. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass nahezu jeder Unterricht mit digitalen Medien zu tun hat. Da die Schülerklientel der MMBBS sich auf Medien und IT Ausbildungsberufe fokussiert, ist digitale Technik und Medienkompetenz mittels digitaler Werkzeuge permanent immanent vorhanden.

Sie haben an Ihrer Schule ein Digitales Spielzimmer für Lehrerinnen und Lehrer eingerichtet. Was verbirgt sich dahinter?

Wir haben im Rahmen der Kooperation mit WorldSkills Germany ein Bundesleistungszentrum für Medien etabliert. Der Raum umfasst 4 Arbeitsinseln mit iMacs, fahrbare Container mit IPads und MacBooks sowie normalen Notebooks. Digitalkameras und unterschiedliche Präsentationsmöglichkeiten bieten nahezu alle digitalen Spielmöglichkeiten für einen unterrichtlichen Einsatz. Ein spezielles Spielzimmers für AR/VR wird zurzeit bereitgestellt. In den Spielzimmern finden unterschiedliche Fortbildungsveranstaltungen statt, die über einen Fortbildungsplan in Verbindung mit dem Studienseminar vierzehntägig stattfinden. Die Spielzimmer werden auch für externe Fortbildungsveranstaltungen genutzt.

Die Philosophie des Digitalen Spielzimmers

Spielend lernen
Der Fortbildungsbedarf der Schulen wird nicht systematisch erfasst. Dadurch gehen die angebotenen Formate oder Inhalte oft am tatsächlichen Bedarf vorbei.
Sicherheit gewinnen
Es gibt keine Qualitätsstandards für Fortbildungen.
Ideen generieren
Die Transferforschung ist wenig entwickelt, d.h. es finden kaum Wirkungsanalysen mit Blick auf die Anwendung der Fortbildungsergebnisse im Unterricht statt.
Konzepte erstellen und ausprobieren
Insgesamt gibt es nur wenige nachhaltige Fortbildungsformate, die meisten sind sehr kurz, nur einmalig und wenig auf den konkreten Arbeitsplatz bezogen.
Ort für verpflichtende und vor allem fakultativen Fortbildung
Oftmals fehlt schlicht die Zeit, insbesondere an Ganztagsschulen, um Freiräume für Fortbildungen zu gewinnen. Dazu kommt, dass die Unterrichtsverpflichtung für Lehrkräfte in Deutschland besonders hoch ist.

Gibt es im Spielzimmer Regeln? Wer darf rein, wie lange und mit welchem Grund?

Es gibt auch hier, wie fast überall in der Schule keine Regeln. Es gilt die IT-Nutzungsordnung auf Basis der DSGVO. Wenn der Raum frei ist, kann er genutzt werden. Auch Schülerinnen und Schüler können die Technik außerhalb des Unterrichts nutzen.

Die Ausstattung des Digitalen Spielzimmers

Wie sind Sie auf die Idee zum Digitalen Spielzimmer gekommen?

Durch die exponierte Stellung der MMBbS bin ich häufig auf unsere Lösung in Sachen Schul-IT angesprochen worden. Da unsere Ausgangslage sich von anderen Schulen unterscheidet, repräsentiert das digitale Spielzimmer nicht die Lösung für jede Schule. Die folgende Ausstattungsidee spiegelt das ein wenig wider …

Idee des „Digitalen Spielzimmers“ nach Joachim Maiß

Ein Raum voll digitaler Technik für den Unterricht
Sofern noch keine Breitbandanbindung vorhanden ist, kann die Anbindung via LTE mit z.B. Vodafone Cube für 200 GB im Monat nur bei Nutzung sichergestellt werden
Spektrum digitaler Endgeräte zum Beispiel
- Tabletts / iPad / Android (z.B. Je 3 oder 6)
- Notebooks: IOS / Surface / Notebooks (je 3 oder 6)
82 Zoll Display vs. Beamer vs. Smartboards – Anbindung via AppleTV bzw. HDMI Kabel – mind. je 1 zum Testen
Dokumentenkamera; Digitalkameras; VR Technik
Ausgabemedien: Drucker; 3D Drucker
Drohnen
Gesamt ca. 35 T €, aber auch günstiger realisierbar

Wie wird das Zimmer bisher angenommen?

Da nahezu alle unsere Räume einem digitalen Spielzimmer gleichen, ist die Frage schwer zu beantworten. Die Nutzung des konkreten Spielzimmers bietet bei uns noch Luft nach oben und die ist dringend auszunutzen. Es gibt einige andere Schulen, die das Konzept übernommen haben und einige, die es modifiziert betreiben.

Ein wichtiger Faktor für die Zukunft unseres Landes

Warum ist Ihnen die digitale Kompetenz Ihrer Lehrkräfte (und Schüler*innen) wichtig?

Wir alle nutzen digitale Medien immer und überall, aber wir haben die gesamte Tragweite dieser Entwicklung und ihre Auswirkungen noch gar nicht verstanden und realisiert. Die Bedeutung und das pädagogische Potential, aber vor allem der zwingende souveräne aber kritische Umgang mit der Technik, spielen in Schulen zurzeit nur eine untergeordnete Rolle. Fehlende Technik, fehlender Support und fehlende Fortbildung werden als Begründung für die fehlende Relevanz in Schule angeführt.
Die Möglichkeiten der Innovation sind noch nicht in Schule angekommen. Es fehlt eine flächendeckende und kritische Begeisterung und ein grundsätzlicher Paradigmawechsel in Schulen insgesamt. Wir müssen weg von der Ausbildung von Postpferden und hin zur Ausbildung von Lipizzanern. Solange Schulleitungen – und Ihnen kommt hierbei die Hauptverantwortung zu – und Lehrkräfte die Relevanz dieser Entwicklung nicht verstanden haben, haben wir ein richtiges Problem, das die Zukunft unseres Landes ernsthaft gefährdet.

Digitales Spielzimmer: Situation in Digitalem Spielzimmer, man sieht zwei Bildschirme

Was brauchen wir an deutschen Schulen um dem entgegenzuwirken?

Eine gemeinsame Idee von der Digitalen Schule; zurzeit gibt es nicht DIE Idee, sondern unendlich viele Ideen, die nicht synchronisiert sind
Eine Motivationsoffensive für Schulleitungen
- Die Macht des Möglichen, die Motoren der Digitalen Transformation, …
Clevere Ideen, um Digitale Schule den Lehrkräften schmackhaft zu machen
Digitale Spielzimmer für Lehrkräfte
Viel Kommunikation um Digitale Schule in der Schule und zwischen den Schulen
- Digitale Zirkel, Stammtische

Kurz: wir müssen die Sehnsucht für die Nutzung von digitalen Medien bei den Kolleginnen und Kollegen entfachen, dann bauen die die andere Schule ganz von alleine.

Haben Sie noch mehr so spannende Ideen? Was haben Sie als nächstes geplant?

Ja, mit ISA und D3 entwickeln wir zurzeit ein völlig neues Schul- und Unterrichtskonzept. Mit Flipped Classroom ändern man den Unterricht, mit FlippedSchool stellen wir die Schule auf den Kopf. Aber das ist ein Thema für ein anderes Interview, vielleicht auch mit den Kolleginnen und Kollegen meiner Schule, die es entwickeln.

Joachim Maiß hat Wirtschaftspädagogik an der Georg August Universität in Göttingen studiert. Seit 2001 ist er Schulleiter der Multi Media BbS Hannover. Er ist Landesvorsitzender des Verbandes der Lehrkräfte an Wirtschaftsschulen in Niedersachsen und Bundesvorsitzender des Bundesverbandes der Lehrkräfte in der beruflichen Bildung. Sein aktueller Schwerpunkt ist die Digitalisierung von Schulen in technischer und pädagogischer Sicht. Dafür kommuniziert er mit Kollegien, Wissenschaft und Verwaltung, um andere Menschen von der Idee der digitalen Schule und den unendlichen Möglichkeiten digitaler Medien in der Schule zu überzeugen.